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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Beste. Es bricht ihr das Herz, zu wissen, wie gefährdet
er ist. Sie hat ihn gesehen, wie er sein wird, schon sehr bald, sie
spürt, ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit, bis sein Schicksal
sich vollzieht. Was beweist, dass es mit ihrer Bitte an ihn zu tun
hat, ist doch sein Flug nach Deutschland für die übernächste
Woche gebucht.
    Noch einmal versucht sie, ihm die Sache auszureden.
    Er ist unerbittlich. »Amma, die Würfel sind gefallen.«
    So ist es wohl. Sie waren es bereits, bevor er zur Welt kam.
    Â»Wir lassen uns scheiden.« Tönges Engel macht ein
Gesicht, das jede Nachfrage von vornherein ausschließt.
    Schweigen.
    Die Kinder wollen ein Eis. Sie fordern und fordern, den Befehlston
gewöhnt, werden aber ausnahmsweise von ihrem Vater zur Ruhe
gerufen, was die Sprachlosigkeit der Erwachsenen erst recht zur
Geltung bringt.
    Â»Das ist nicht euer Ernst, Oma «, sagt Tessa
schließlich.
    Henny fängt an zu weinen, worauf Tante Edith an ihre Seite
eilt und sie in den Arm nimmt.An den Tischen ringsum wird es leiser.
Verstohlene Neugier.
    Liv winkt die Bedienung heran, ordert eine Flasche Köm und
zwölf Gläser. Die Blondine erfasst den Notfall und bringt
das Gewünschte umgehend, beinahe im Laufschritt. Florian sieht
aus, als müsse er sich zügeln, nicht aufzuspringen und
Szenenapplaus zu spenden.
    Sie trinken.Nach dem zweiten Schnaps läuft Utz Engel, Livs
Vater, rot an und fängt unvermitteltan zu pöbeln. »Was
für ein Mistkerl«, gemeint ist Tönges. »Das
hätte ich mir denken können, es passt zu dir, dass du Mama
im Alter sitzen lässt. Genau so ein Mensch bist du. Immer
gewesen. Egoistisch, rücksichtslos und hinterhältig. Du
hast bestimmt eine Neue. Gib's zu, du hast eine Neue. Wie alt ist
sie? Vierzig? Dreißig? Zwanzig?«
    Â»Lächerlich.« Tönges mustert seinen Sohn
voller Abscheu. »Reiß dich am Riemen, du Klapskalli.«
    Utz Engel springt auf. »Das könnte dir so passen.Aber
mir reicht's. Ich hab die Nase voll. Von dir lasse ich mir nicht mehr
den Mund verbieten. Von dir nicht.«
    Je mehr sich Livs Vater im Tonfall vergreift, desto mehr Leute
hören ihnen zu, und es ist zu spüren, wie sie sich auf die
Seite ihres Großvaters schlagen, dem die Zähigkeit ebenso
wenig anzusehen ist wie dem Jüngeren seine Schwäche.Ablehnung
von allen Seiten, wie eine Wand. Utz Engel registriert das nicht –
oder es ist ihm gleich. Er will offenbar, dass die ganze Welt hört,
wie er über Tönges urteilt, auch wenn er damit wieder
einmal nur das erreicht, was ihn bereits sein Leben lang quält:
dass ihn niemand leiden kann.
    Â»Du warst nie für Mama da und für uns auch nicht.
Ist doch so, Edith? Ich sage nur, wie es ist. Einen Dreck hat er sich
für uns interessiert. Stimmt doch, Edith?«
    Seine Schwester hütet sich zu antworten. Mechanisch
streichelt sie ihrer Mutter über den Rücken, obwohl deren
Tränen versiegt sind, sie sogar beschwingt ist, ihrem
Mienenspiel nach zu schließen, zumindest erleichtert, weil die
Geheimniskrämerei ein Ende gefunden hat, wenngleich ein
hässliches.
    Â»Ich verstehe überhaupt nicht, warum du dich so
aufregst«, sagt Tönges zu Utz.
    Liv geht es genauso. Zwar ist sie überrascht, aber nicht
erschüttert, jedenfalls nicht über die anstehende
Scheidung. Der Ausbruch ihres Vaters hingegen ist ihr mehr als
peinlich.
    Â»Du solltest dich schämen«, setzt Utz Engel nach,
nicht mehr ganz so laut, aber ungebrochen aggressiv. »Ich
könnte kotzen.«
    Â»Dann tu das doch bitte draußen«, erwidert Liv,
und ihre Mutter nickt beifällig: »Sie hat recht, Utz, am
besten, du gehst für fünf Minuten an die frische Luft.«
    Utz Engel setzt sich wieder hin. »Kommt nicht in Frage.
Dieser Dreckskerl von einem Ehemann und Vater soll verschwinden. Am
besten für immer. Wir brauchen ihn nicht. Wir haben ihn nie
gebraucht. Oder ist hier irgendjemand anderer Meinung?«
    Tönges Engel erhebt sich langsam, mühsam beherrscht. Er
hält sich kerzengerade, als er die Gaststube verlässt.
    Â»Gehst du ihm nach?«, flüstert Max ihr ins Ohr.
Liv bejaht. Sie fragt sich, ob sie von selbst darauf gekommen wäre.
    Seine schmale Silhouette auf der Pier, er steht direkt am
Hafenbecken und raucht Zigarette, schnippt die Asche ins Wasser. Liv
hält etwas Abstand, lässt den Blick schweifen.
Sonnenuntergang.

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