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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Lava und das rötliche Haar seiner
Großmutter.Sie kann die Knabenhände noch fühlen, als
hätte er sie eben erst zurückgezogen. Ihre Haare sind
längst grau, seine Hände erwachsen, aber die Kraft der
Berührung, wie ein Gruß aus Fritzis vergessenem Leben,
diese Kraft wirkt ungebrochen. Der Enkel hat sehr viel gemeinsam mit
dem Mann, den er für sie finden soll, sie hat versucht, ihm dies
zu vermitteln, doch es war zu sehen, dass der Junge sie bei aller
Liebe für sentimental hielt und im Grunde nichts davon wissen
wollte.
    Seit er fort ist, schläft sie schlecht. Die Alpträume
machen Jagd auf sie, auch tagsüber, wenn sie wach ist. Was sie
besonders quält:Als sie den Jungen losschickte, war sie –
nicht zum ersten Mal – wild entschlossen, sich ihrer ältesten
Schuld endlich zu stellen. Inzwischen hat sie jedoch wieder der Mut
verlassen. Der Enkel kann sich die ganze Mühe sparen.
    Sein einziger Anruf kam direkt nach der Ankunft in Deutschland,
eine schlechte Verbindung, es knackte und rauschte, dazwischen seine
Stimme, betont munter: »Grüß dich, Amma, ich wollte
nur sagen, dass ich gut angekommen bin. Der Flug war ruhig, das Essen
fad. Ich stehe hier im Hemd, so schön ist das Wetter. Es soll
die nächsten Tage warm und sonnig bleiben. Du, mach dir keine
Gedanken, bis ich zurück bin.Alles wird gut. Ich melde mich
bald. Bless, bless.« Mehr hat er nicht gesagt. Sie stellt ihn
sich vor, den Enkel im Hemd und ohne Jacke im deutschen Frühling.
Viel zu arglos, das hätte sie sich von ihm anders erhofft. Sein
idiotischer Reise-und Wetterbericht:Als wäre er im Urlaub.
    Fritzi wartet.Auf die Rückkehr des Enkels oder wenigstens
eine Nachricht. Sein Versprechen, sich bald zu melden, ist längst
gebrochen.Anfangs hat sie versucht, den unwürdigen Zustand des
Wartens vor sich selbst zu leugnen, fegte und wischte morgens eifrig
in der Nähe des Telefons, während in der Küche die
Brotkrümel des kaum angerührten Frühstücks auf
dem Boden liegen blieben. Sie polierte das Tischchen, auf dem der
Apparat steht, bis ihr Handgelenk zu schmerzen begann, putzte sogar
das Fenster in der Diele. Damit ist jetzt Schluss. Seit gestern
wartet sie nur noch. Wenn jemand anruft, Bjarney oder der Nachbar
oder ihr Pächter, antwortet sie unwirsch und hat es eilig, die
Leitung freizubekommen.
    Durch das geputzte Fenster betrachtet sie die düsteren
Ausläufer des Küstengebirges: Ein Hauch von Grün
schimmert auf den Gesteinshalden unterhalb der Felshänge, das
Gras bekommt Farbe. Frühling auch auf Bjarg, aber kein Wetter,
um Jacke und Mantel im Schrank zulassen, weiß Gott nicht. Es
geht ein kräftiger Seewind, der Schauer vor sich hertreibt, der
Himmel ist putzlumpengrau und pechschwarz, wo Regen fällt.Ab und
zu knipst sich zwischen Wolken die Sonne an und aus, hell wie ein
Blitz. Sonnengewitter.
    Fritzis Laune hebt sich, als sie auf dem Schotter neben der
Auffahrt die ersten gelben Farbtupferbemerkt: arktischer Mohn
womöglich. Was für ein Lebensmut. Sie beschließt,
zuversichtlicher zu sein. Im isländischen Fernsehen gibt es eine
ganze Sendung für Leute, die einander verloren und dann mit
Hilfe des Senders wiedergefunden haben, oft nach langer Zeit: Man
umarmt sich und weint vor Glück, keine Vorwürfe, keine
Schuldzuweisungen. Warum sollte es ihnen nicht ebenso ergehen?
    Neben dem Telefon liegt die Visitenkarte des Enkels, er hat seine
Handynummer mit gelbem Leuchtstift markiert und ihr erklärt,sie
könne ihn jederzeit auf der ganzen Welt erreichen, eine
ausländische Vorwahl sei nicht nötig, das Gespräch
würde automatisch überallhin weitergeleitet, ja,
selbstverständlich auch nach Deutschland.Abgemacht war jedoch,
dass er anruft, sie wollte das so, um ihn nicht in einem unpassenden
Augenblick zu stören. Leider kann sie darauf nun keine Rücksicht
mehr nehmen, denn ihre Geduld geht zu Ende.
    Fritzi wählt mit klopfendem Herzen. Wieder warten. Wieder
vergebens.Anstelle eines Freizeichens ertönt ein kurzer
Signalton, dann vermeldet eine Frauenstimme auf Isländisch und
Englisch, dass der Enkel
    â€“ the person you are calling – vorübergehend
nicht zu sprechen ist, und ihre Knie werden weich.
    Knabenhände.Das ist das Einzige, was Livd Livdtenkt, während
sie ihrem Sohn dabei zusieht, wie er das Mauerwerk abtastet,
bedächtig, als wolle er sich von

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