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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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besagt: Es könnte mit viel Glück recht
warm werden, bis zu fünfzehn Grad im Mai, die
Durchschnittstemperatur liegt bei zehn. Auch möglich, vor allem
im Norden: Schneestürme, drastische Temperaturstürze
inbegriffen.
    Aaron steht in der Tür. »Du willst da wirklich hin, um
den Alten zu suchen?« »Ja.«
    Â»Oder hat es was mit mir zu tun, dass du jetzt abhaust?«
    Â»Wieso sollte es? Außerdem haue ich nicht ab. Du
weißt, wo ich bin, und du kannst mich anrufen, falls dir danach
zumute sein sollte, was ich nicht annehme.«
    Â»Hast du keinen Bock mehr auf mich?«
    Sie dreht sich zu ihm um und unterdrückt den Impuls, ihn in
die Arme zu schließen. »Aaron, ich habe gerade total Bock
auf dich. Und ich würde mich freuen, wenn du wieder bei mir
einziehst, sobald ich zurück bin.«
    Â»Kannst du vergessen«, erwidert er, den Anflug eines
Lächelns im Gesicht.
    Später, der Junge ist längst im Bett, checkt Liv zum
letzten Mal ihre Sachen für die Reise und fügt dem
Handgepäck, einer Eingebung folgend, noch etwas hinzu: Tönges'
Laguiole-Messer, das Geschenk seiner Schwester. Sie hat es
zwischendurch völlig vergessen und fragt sich jetzt, da es ihr
wieder begegnet ist, ob es Zufall gewesen sein kann, dass ihr
Großvater es ihr wenige Monate vor seinem Verschwinden vermacht
hat. Sollte er am Ende alles von langer Hand geplant haben?
    Der Tod ist immer eine gute Entschuldigung. Für alles. Ein
Freibrief für Unzuverlässigkeit und schlechtes Benehmen.
Wer zum Beispiel einen Todesfall in der Familie erwähnt, wird
überall auf Verständnis stoßen. Und stirbt man erst
selbst, schlucken sogar Erzfeinde die üble Nachrede hinunter,
weil es sich nun einmal so gehört, und raspeln fortan Süßholz
oder halten den Mund.
    Als sie diese Ãœberlegungen anstellt, ist Fritzi nicht sicher,
ob sie gerade kurz davor ist, die Schwelle zu überschreiten. Sie
stemmt sich dagegen, denn sie ist noch längst nicht bereit,
nicht jetzt und nicht so. Das Krankenlager im Schlafzimmer, seit
Tagen ein Gefängnis, soll nicht ihr Sterbebett werden. Wenn es
so weit ist, das hat sie sich vorgenommen, will sie in die Lava
gehen. Und im Augenblick schafft sie es ja kaum bis ins Badezimmer.
Außer dem leidigen Hüftschaden hat sie Fieber,
Schüttelfrost und Husten, sie ernährt sich von Butterkeksen
auf dem Nachttisch,welch ein Glück, dass sie diese schlechte
Angewohnheit des Naschens nach dem Zähneputzen nie ablegen
konnte, deshalb die Kekse, sämtliche andere Vorräte
befinden sich im Erdgeschoss und sind unerreichbar. Ebenso das
Telefon.
    Gevatter Tod also. Während sich der Schnee vor ihrem Fenster
wieder in Regen verwandelt hat und unten vermutlich die Diele unter
Wasser steht, hält sie den Schnitter in Schach, allein durch
ihre furchtlosen Gedanken an ihn.
    Fritzi und der Tod: Zuerst kennt sie ihn nur vom Hörensagen.
Als Ausrede der eigenen Mutter für die Gemeinheiten des Vaters,
die Prügel, die Ungerechtigkeiten, seinen Sadismus. »Du
musst verstehen. Dein Vater hat es immer schwer gehabt als Kind.Alle
seine Geschwister sind gestorben, so arm war seine Familie,und da
konnte seine Mutter ihn auch nicht mehr lieb haben, und das hat sie
ihn spüren lassen. Du musst verstehen.«
    Nichts versteht sie. Zu diesem Zeitpunkt.
    Dann ihr erstes Aufeinandertreffen. Passenderweise auf der
Beerdigung ihrer Großmutter väterlicherseits, der Frau mit
den vielen toten Kindern. Sie liegt im geöffneten Sarg, die böse
Alte, die Haut glänzt wächsern, und ihr Gesicht sieht so
lieb aus,wie es bei Erwachsenen nur sehr selten der Fall ist. Diese
Frau soll der Ursprung des Hasses in ihrer Familie gewesen sein? Kaum
zu glauben. Da versteht sie ihren Vater noch weniger.
    Was sie nie verzeihen wird: das Sterben der eigenen Söhne.
Einar im Meer. Kristján in der Wiege. Und Atlí in ihren
Armen. Der Vater des Enkels.
    Es passiert in der Nacht, als sein Sohn zur Welt kommt. Atlí
ist zu Besuch auf Bjarg, frisch verheiratet, seine Frau daheim in der
Stadt ist schwanger, neunter Monat, drei Wochen vor dem Stichtag. Der
Anruf aus dem Kreißsaal kommt überraschend, aber
gelegen,Atlí ist ruck, zuck in Hochstimmung.
    Â»Ich fahre sofort in die Klinik. Und du kommst mit.«
    Es ist März und dunkel. Schnee in den Bergen, Eis auf den
Straßen. Zwei Wege führen in die Stadt, beide ungefähr
gleichlang:

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