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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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dein Gespenst.«
    Â»Hör sofort damit auf. Ich finde das nicht witzig. Du
wirst Vater, also benimm dich auch so.«
    Die Worte zeigen Wirkung. Der Junge nimmt den Fuß vom
Gaspedal.Als das Tier, oder was immer es ist, in einer Kurve vor
ihnen auf der Schotterpiste erscheint, hat der Jeep trotzdem noch ein
viel zu hohes Tempo. Atlí will ausweichen, Eis auf der
Fahrbahn, ein Schlag, dann freier Fall. Immer noch spielt das Radio.
Den Aufprall empfindet Fritzi als überraschend sanft. Das
Bewusstsein verliert sie dennoch.
    Die Musik ist aus. Das ist Fritzis erster Gedanke nach dem
Aufwachen. Sie bewegt Kopf, Arme und Beine, alles gehorcht ihr noch.
Nichts Kaltes fließt mehr durch ihre Adern, im Gegenteil, es
ist geradezu heiß.
    Sekunden später erfasst sie den Grund dafür: Sie
befindet sich nicht im Auto, das lichterloh brennt, sie liegt dicht
daneben am Strand. Und Atlí ebenfalls, nur ein paar Meter
näher am Wasser.
    Sie ruft seinen Namen.
    Keine Antwort.
    Auf allen vieren kriecht sie zu ihrem Sohn und sieht, dass er wach
ist, aber rettungslos verloren, denn Blut läuft aus Nase, Mund
und Ohren. Viel Blut. Eine Erfahrung aus Kriegszeiten: Wer aus den
Ohren blutet, wird nicht wieder.
    Sie schreit ihn an, er soll kämpfen, doch das liegt nicht in
seiner Natur. Atlí kämpft nicht, er fleht.
    In diesen Stunden erkennt Fritzi: Wenn es überhaupt einen
Sinn im Leben gibt, dann ist es der, dem Tod nicht als Bettler zu
begegnen, sich zu wehren, solange es irgend geht, mögen die
Umstände noch so widrig sein.
    Als Atlí stirbt, hat er die Hände voller Glückssteine.
    Sie hätte einen werfen sollen.
    Auf dem Kopenhagener Flughafen Kastrup riecht es ungesund wie an
den Kassen bei Ikea: nach Hot Dogs.Alle paar Meter ein Stand, davor
lange Schlangen, Reisende aus der ganzen Welt:Asiaten in
Gruppen,Amerikaner, weithin zu erkennen an ihrer lärmenden
Fröhlichkeit, introvertierte Nordeuropäer, Handys am Ohr –
der globalisierte Hunger auf Würstchen, Röstzwiebeln und
schwammartige Brotröllchen.
    Und das um acht Uhr früh. Liv reiht sich ein. Ob Tönges
hier ebenfalls einen Hot Dog gegessen hat? Oder hat er überhaupt
nicht das Flugzeug, sondern die Fähre genommen?
    Für die Weiterreise nach Reykjavík befürchtet sie
Schlimmes, nachdem bereits der erste Flug von Hamburg in die dänische
Hauptstadt äußerst unangenehm verlaufen ist. Man saß
zusammengepfercht in einer betagten Propellermaschine, deren Motor
kurz vor dem Start gleich zweimal absoff, in der Luft kein Service,
dafür viel Lärm und Geschaukel. Island, das weiß sie
inzwischen, hat rund dreihunderttausend Einwohner, kaum mehr als
Lübeck. Die Sommersaison beginnt dort erst Ende Juni, mit
Touristen ist von daher kaum zu rechnen. Wie klein und schrottreif
wird also der nächste Flieger sein?
    Am Flugsteig die Ãœberraschung: Die isländische
Fluggesellschaft wartet mit einem großen Jet auf, Boeing
757-300, gerade gelandet und offenbar ausgebucht, die Passagiere
quellen über die Gangway in das Flughafengebäude, es sind
Hunderte. Lauter junge Leute, modisch gekleidet und plappernd, ein
Stakkato dunkler Laute, Liv gänzlich fremd. Dänisch? Oder
haben Isländer eine eigene Sprache? Liv fühlt sich durch
die eigene Unwissenheit stark eingeschränkt, wie will sie dort
irgendetwas recherchieren, wenn sie von nichts einen Schimmer hat?
Sie muss unbedingt den Reiseführer lesen, am besten während
der drei Stunden bis zur Ankunft.
    Wenig später beginnt das Boarding, und Liv nimmt als eine der
Ersten ihren Sitzplatz am Fenster im hinteren Teil der Boeing ein.
Ein Fehler, wie sich zeigt. Der Abflug verspätet sich, weil
Passagiere, die eingecheckt haben, zunächst nicht an Bord
erscheinen, erst nach etlichen Durchsagen zwängen sie sich durch
den Mittelgang, beladen mit Tüten und Worte murmelnd, die ebenso
gut »Verzeihung« heißen könnten wie »Pech
gehabt, ihr Pünktlichkeitssklaven«. An Bord gibt es
Ansagen in drei Sprachen: Englisch, Dänisch, die dritte wird
dann wohl Isländisch sein.
    Liv schlägt ihren Reiseführer auf und liest die
Einführung. Standardisierte Floskeln: ein Land voller Gegensätze
und Geheimnisse, atemberaubende Landschaften, Vulkane, Gletscher –
zum Gähnen. Sie merkt, wie ihr die Augen zufallen, liest noch
einen Satz über die vielerorts gefährlich dünne
Erdkruste.

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