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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Die letzten drei Worte nimmt sie mit in den Schlaf: »Tor
zur Hölle«.
    Die Flugbegleiterin weckt sie, eine ältere Dame mit dem
Gehabe einer Autoritätsperson, mehr Schuldirektorin als
Servicekraft.
    Â»What do you want to drink with your lunch?«
    Wieso Lunch? Liv blickt an sich hinunter, tatsächlich, das
Tischchen über den Knien ist aufgeklappt, darauf ein Tablett,
eingeschweißt in Silberpapier. Was bildet diese Frau sich ein?
Vermittelt sie beim Schlafen etwa den Eindruck, sie wolle in
Wirklichkeit essen?
    Ihr Versuch, die Stewardess davon zu überzeugen, das
Mittagsmahl wieder einzusammeln, scheitert. Resigniert bestellt Liv
Wasser, ihr Sitznachbar zwei Fläschchen Wodka.
    Â»Nummer zwei ist für Sie«, sagt er, nachdem die
Dame mit dem Wägelchen weitergezogen ist, und tippt auf den
Verschluss. »Das Essen hier ist furchtbar, glauben Sie mir, den
werden Sie brauchen.« Der Mann spricht deutsch, fehlerfrei,
aber mit starkemAkzent, was Liv veranlasst, sich ihn genauer
anzusehen: ein kompakter Bursche, jünger als sie, höchstens
dreißig, sonnengebräunt, mit kurz geschorenem,
karottenfarbenem Haar und starkem Bartwuchs. Er bemerkt ihren Blick
und reicht ihr die Hand: »Geir Gunnarsson.«
    Er sieht also nicht nur wie ein Wikinger aus, er heißt auch
so.
    Â»Mein Name ist Liv Engel.«
    Â»Wie wundervoll.«
    Ein fester Händedruck und ein seltsames Geständnis, im
Flüsterton vorgetragen, als wolle er ihr außer Schnaps
noch Drogen unterjubeln: »Ich mag die Deutschen.«
    Das macht ihn irgendwie verdächtig. Niemand mag die
Deutschen, jedenfalls niemand, von dem man gern gemocht werden will.
    Â»Sind Sie Nazi?«
    Er lacht. »Nein, Geschäftsmann. Meine besten Gewinne
mache ich mit Deutschen. Aber ihr habt ein Problem mit eurer
Identität. Echt.«
    Wem sagt er das. Obwohl sie es eigentlich nicht vorhatte, isst Liv
ihren Lunch, hauptsächlich Kartoffelsalat, um sich den Wodka zu
verdienen. Das nicht näher definierbare Stück Fleisch am
Rand des schleimigen Salathaufens lässt sie allerdings nach
einem Testbissen liegen. Geir Gunnarsson hat recht: Es schmeckt
abscheulich.
    Â»Sie hat es mir einfach hingestellt«, sagt Liv ein
wenig fassungslos über die schlechte Qualität.
    Â»Das ist hier so üblich. Wissen Sie, nach all den
Hungersnöten in den letzten Jahrhunderten fragen wir nicht, ob
jemand Appetit hat. Nehmen Sie es der Frau nicht übel.«
    Der Akzent,eine Art rhythmisches Lispeln, macht es für Liv
einigermaßen schwer, herauszuhören, ob der Mann sie zum
Narren hält.
    Sie pickt mit der Plastikgabel eine einzelne Kartoffel aus der
MaJónäse. »Die Deutschen sind auch nicht immer satt
geworden, besonders nach dem Krieg nicht. Wen kümmert das heute
noch?«
    Â»Isländer haben ein völlig anderes Zeitgefühl.
Fünfzig Jahre fühlen sich für uns an wie fünf.
Selbst fünfhundert Jahre sind ein Witz. Die Vergangenheit ist
immer ganz nah.«
    Â»Ehrlich?« Livs Interesse ist geweckt. Wenn das so
ist, kann sie vielleicht davon profitieren. »Klingt spannend.
Erzählen Sie mir mehr davon.«
    Â»Wovon? Von den Isländern?«
    Â»Von den Isländern und ihrem Gespür für Zeit
und Vergangenheit.«
    Â»Ist mir eine Ehre.Aber erst anstoßen.«
    Sie trinken. Nach zwei Flachmännern pro Person ist man per
Du, und Geir singt sein Loblied auf die Heimat. Wie sich
herausstellt, exportiert er Fisch, vor allem in die Europäische
Union. Er kommt viel herum, meistens hat er unterwegs Heimweh, denn
er liebt sein Land mit einer Leidenschaft, die sich ein Deutscher
niemals gestatten dürfte, ohne unangenehm aufzufallen. Dabei
keine Spur von Nationalismus,die Verehrung gilt in erster Linie den
Naturwundern der Insel. Mit Betonung auf Wunder. Liv hat sich
gelegentlich gefragt, wie es sein mag, aus einem Land zu stammen, das
gemeinhin als sympathisch gilt. Geir Gunnarsson zeigt es ihr:
erfrischend.
    Ein begnadeter Erzähler ist er nicht gerade, das mag in
seiner Muttersprache anders sein, doch einiges bleibt hängen:
Laut Geir hat erst ein Vulkanausbruch auf Island die Französische
Revolution ausgelöst und damit Europa ins Zeitalter der
Aufklärung katapultiert. Ferner seien die isländischen
Sagas Fundament der gesamten europäischen Literatur. Und der
Snsefellsjökull, ein Gletscher im Südwesten, sei dank
seiner magischen Kräfte

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