Wiedergaenger
Kuchen backen müssen,
sobald es ihr besser geht. Wenn er sie nur endlich in Frieden ließe.
»Ich hab die Pacht für deine Wiesen dabei.«
»Ein andermal.«
»Ist wirklich alles gut?«
Zorn weht durch ihren maroden Leib wie eine frische Brise. »Ja
doch, und jetzt verschwinde gefälligst. Oder willst du etwa
einer alleinstehenden Frau nachstellen?«
Das verschlägt dem Nachbarn für einen Moment die
Sprache. Sie hört, wie er ums Haus schleicht, um vor dem Eingang
stehen zu bleiben, er könnte einfach eintreten, das weiß
er, es ist nicht üblich abzusperren. Seine Zweifel kriechen
durch das nutzlose Schlüsselloch. Dann nähern sich die
Schritte wieder dem Küchenfenster. Fritzi ist heilfroh,
irgendwann die Gardinen zugezogen zu haben, die sie in der hellen
Jahreshälfte meistens offen lässt, weil sie sich nicht
sattsehen kann an der nordischen Landschaft dort draußen.
Als hätte sie es geahnt.
»Kannst du mir mal sagen, warum du da drinnen im Dunkeln
hockst?«
»Es ist mein Haus und mein Licht.Außerdem ist es nicht
dunkel.« Sie findet, allmählich wird er dreist.
Schweigen. Die Ratlosigkeit auf beiden Seiten des Fensters wächst.
Fritzi kennt den Nachbarn, seit er ein Kind war, er ist kein Mensch
schneller Entscheidungen.
Nach einer geraumen Weile: »Hör mal, ich gehe jetzt, es
ist spät. Entschuldige die Störung. Wenn etwas ist, ruf an.
Du hast ja meine Nummer.«
»Glück und Segen, mein Lieber. Und grüß mir
deine Frau.«
»Jaja. Leb wohl.«
Endlich: Der Nachbar entfernt sich. Fritzi bekommt noch mit, wie
er den Motor seines Landrovers startet, bevor sie vornübersackt,
außerstande, sich noch länger wach zu halten.Auf
wundersame Weise entledigt ihr Geist sich des Körpers und
schwebt voller Abscheu über die Szenerie hinweg, deren Anblick
dem Nachbarn erspart geblieben ist. Wie tief ist dieses Jammertal:
Ein schmutziger Küchentisch, daran sitzt eine Frau auf einem
Stuhl, Kopf und Oberkörper ruhen auf der Tischplatte, auf der
ansonsten noch ein angelaufener Silberlöffel, ein Teller
Erbsensuppe, kalt und fettig, die dazugehörige Konserve und ein
halbes Brot zu finden sind.Aus dem Brotlaib wurden mit gierigen
Fingern große Stücke herausgerissen und nur zum Teil
verzehrt, überall Krümel. Verschmäht auch die Suppe,
mit fahrigen Bewegungen direkt aus der Dose auf den Teller befördert,
wobei ein Großteil danebenging. Flüchtig von oben
betrachtet, hat die Frau etwas Mädchenhaftes, schmal, wie sie
ist, sogar um die Hüften.Ja, sie könnte ein junges Ding
sein. Wären die langen Haare, die verfilzt und ungewaschen in
der Suppe hängen, nicht von den Wurzeln bis in die Spitzen
ergraut.
Fritzis Seele fällt es schwer, in die sterbliche Hülle
zurückzukehren, wer begibt sich schon mit Freude in einen
derartigen Zustand, erträgt peinvolle Tage und Nächte, wenn
die andere Möglichkeit schweben bedeutet? Wozu überhaupt
dieses ständige Aufbegehren gegen etwas, das unausweichlich ist?
Wieso nur hängt sie so sehr an ihrem kleinen Leben in seiner
ganzen Ramponiertheit? Es wäre ein Leichtes: Sie könnte die
Küche mitsamt der Unordnung, Bjarg und den Fluch hinter sich
lassen, jemand anderes müsste aufräumen, während sie
die Gletscher, die Seen und das Meer aus luftiger Höhe
betrachtete. Doch was kommt danach? Leider lässt sich der
Zustand von Haus und Hof auf ihr ganzes Dasein übertragen:
Nichts ist bestellt. Sie ist weiß Gott nicht im Reinen mit
sich.Auf dem Kirchplatz neben Jón in Frieden zu ruhen –
das dürfte kaum gelingen. Fritzi ahnt: Wenn es etwas gibt, das
schlimmer ist, als von einem Geist verfolgt zu werden, dann selbst
einer zu sein, rastlos und traurig, eingekerkert in einem Verlies aus
unstillbarem Rachedurst an den Lebenden. Und sie kennt sich gut
genug, um eines sicher zu wissen: Sie wäre kein nettes
Hausgespenst.Also kämpft sie weiter – und gewinnt die
nächste Runde.
Fritzi kämpft sich zurück ins eigene Elend, den Gestank
kalter Dosensuppe in der Nase. Was sie ansonsten wahrnimmt:
Schmerzen,was sonst? Besonders am Hintern und in den Beinen.Hunger,
Hautjucken. Dunkelheit. Dem fahlen Schein in der Küche nach zu
urteilen, müsste es kurz nach Mitternacht sein.
Dass es ihr partout nicht gelingen will, wieder auf die Beine zu
kommen, empfindet sie als persönliche
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