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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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geheime Kenntnis voneinander, ohne mehr zu wissen, als man sich
bei zwei Tassen Pfefferminztee in einem Gemeindesaal und einigen
Gläsern Rotwein in einer Bar erzählen kann, war makellos.
    Nach kurzem Zögern nimmt Liv Rúnars schlaffen rechten
Arm in beide Hände, führt die Unterseite des Handgelenks an
ihre Lippen und küsst ihn. Dort, wo Frauen Parfüm
auftragen, um zu duften wie die weite Welt, riecht er nach Heimat.
Sie weiß selbst nicht, wieso ihr dieses Wort in den Sinn kommt.
Es jagt ihr einen Schrecken ein, und davon wird er wach, ein
schlagartiges Erwachen, ein Sturz. Er klammert
    sich am Laken fest, seine rechte Hand in ihrer Obhut ballt sich
zur Faust, sie fühlt die Kraftübertragung der Sehnen.
    Â»Was tust du da?« Er zieht seinen Arm zurück.
    Keine Antwort, nur das Ticken der Uhr, minutenlang, dann wieder
seine Stimme in schläfrigem Deutsch: »Verzeihung.«
    Wofür entschuldigt er sich? Weil er den eigenen Körper
einschließlich sämtlicher Extremitäten am frühen
Morgen in einem unbekannten Bett lieber beieinander behält? Das
ist nur zu verständlich.
    Er wird genauer: »Ich hätte dich nicht einfach so ...
abschleppen dürfen.«
    Liv lacht auf. Typisch, diese männliche Arroganz.Als ob sie
nicht schon das Bedürfnis gehabt hätte, sich mit ihm auf
alles Denkbare einzulassen, während er noch in vollkommener
Ahnungslosigkeit für irgendwelche japanischen Fotoalben
posierte. Sicher, im Halbdunkel der polaren Frühjahrsnacht wagte
er die erste Berührung, um für den Moment ein Paar aus
ihnen zu machen, indem er nach ihrem Oberarm griff, den er mit seinen
schönen langen Organistenfingern beinahe ganz umfassen kann,
doch sie hätte den Arm ja wegziehen können so wie er gerade
eben seinen. Stattdessen hielt sie der Umklammerung stand, bis die
Wärme seines Körpers sich durch den Parka auf sie
übertragen hatte und schließlich den gesamten zugigen
Platz aufzuheizen schien, sodass sie im Sommerkleid hätte
dastehen mögen. Die Hitze war schwül.
    Als es ihr zu viel wurde, ließ er immer noch nicht los,
dabei war er nicht bei ihr in Gedanken, sondern weit, weit weg, das
war zu sehen – und es provozierte sie maßlos. So sehr,
dass sie zur Gegenwehr ansetzte, anfangs vergebens, bis sie ihm indem
Arm biss, die andere Hand im Parka verborgen, wo sie das
Laguiole-Messer umklammerte, nur für den Fall einer weiteren
Eskalation. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen eine verblüffende
Bemerkung von ihm, nach dem Ende des Gerangels: »Ich kenne
deine Wut.«
    So etwas Schönes hat ihr noch niemand gesagt. Stilles,
atemloses Einvernehmen dann über den weiteren Verlauf der
Begegnung: Umarmungen und Küsse unter dem Kirchturm,
Pfefferminzgeschmack, Rotweinküsse im Gedränge neben der
Theke einer hoffnungslos überfüllten Bar in Downtown
Reykjavík, Gefummel unter einem Bistrotisch, seinerseits
ziemlich hemmungslos.Alles schon mal dagewesen – alles neu.
Plötzlich waren die Gläser klebrig, und der Wein schmeckte
nicht mehr nur nach Merlot, zwischendurch auf dem Frauenklo ihr
Bedürfnis, sich Haare und Kleidung zu richten .
    Lieber Himmel, es ist ja unverkennbar ihr Hotelzimmer, in dem er
jetzt liegt, splitternackt, wer hat also wen abgeschleppt, falls das
überhaupt eine Rolle spielt? Und welcher halbwegs erwachsene
Mensch benutzt dafür überhaupt diese Umschreibung?
    Gut, es ist nicht seine Muttersprache. Liv muss sich beherrschen,
um nicht zu verächtlich zu klingen. Ihre Antwort nach geraumer
Zeit: »Ja, weiß Gott, du solltest dich schämen.«
    Rúnar steht auf und geht ins Bad, leider erhascht sie nur
einen flüchtigen Blick auf seinen nackten Körper, die
glatte dunkle Haut. Er lässt die Tür offen, was sie zwingt,
mit anzuhören, wie er den Toilettendeckel hochklappt, sich
auspinkelt und spült. Anschließend rauscht die Dusche.
    Vom Bett aus ruft sie ihm eine Warnung zu: »Das würde
ich an deiner Stelle bleiben lassen. Mit der Leitung stimmt was
nicht. Das Wasser stinkt ganz übel, ich muss es der Rezeption
melden. Hab gestern nicht mehr daran gedacht.«
    Er taucht im Türrahmen auf und lächelt sie an. »Danke
für den Tipp.Aber mach dir keine Gedanken, das gehört so.
Die südisländischen Haushalte werden mit heißem
Thermalwasser versorgt. Es kommt direkt aus der Erde und

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