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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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vermuten. Er wird seine eigenen Gründe haben.
    Die Japanerinnen verabschieden sich. Ein letztes Winken, und Livs
Gesichtszüge werden wieder normal.
    Â»Es tut mir leid wegen deines Freundes.«
    Â»Er war ein Mistkerl. Nicht nur die Guten sterben jung.«
    Was für ein Thema. Entwicklungsfähig, aber nicht als
Einstieg geeignet. Die verbale Kommunikation, natürlicher Gegner
eines jeden Flirts, der auf biochemischer Anziehungskraft beruht,
liegt am Boden. Liv räuspert sich, um sie anzuzählen.
    Einmal räuspern heißt: Fällt dir nichts Besseres
ein? Zwei Mal: Mir auch nicht. Drei Mal: Ich gehe dann mal.
    Der Organist scheint zu kapieren. »Willst du auf den Turm?«,
fragt er nach Livs zweitem Räuspern und klingt dabei ein wenig
hektisch.
    Und ob sie will. »Unbedingt.«
    Â»Dann los.«
    Ein Fahrstuhl bringt sie fast ganz nach oben, lediglich die
letzten Meter bis zum Geläut müssen sie Treppen steigen.
    Â»Praktisch«, sagt Liv, und als er sie verständnislos
ansieht, fügt sie hinzu: »Der Lift.«
    Â»Ja. Wir Isländer sind faul geworden.«
    Â»Trifft das nicht auf alle modernen Gesellschaften zu?«
    Â»Vermutlich.« Er reicht ihr die Hand. »Ich heiße
Rúnar.«
    Â»Liv Engel.«
    Sein Händedruck ist erstaunlich zurückhaltend.
    Sie stehen neben der Kirchenglocke, in einem quadratischen offenen
Raum, es weht kräftig, und die Luft ist eiskalt rund siebzig
Meter über dem Boden. Liv setzt die Kapuze ihres Fliegerparkas
auf. Rinar trägt nur eine Fleecejacke, schwarz wie sein Haar.
Obschon sie nicht klein ist, eins fünfundsiebzig laut Reisepass,
überragt er sie deutlich.
    Â»An dieser Stelle wird für gewöhnlich die Aussicht
gewürdigt«, sagt er spöttisch.
    Liv tritt ans Geländer, macht die Runde. Die Aussicht: rote
und schwarze Dächer, Hafenanlagen, düstere Bergketten,
Weite, tief im Westen Gletschereis, ein fast verblichener
Sonnenuntergang im Meer, Schlieren von Rosa, Lila und Orange wie mit
Pastellkreide in den Himmel gewischt.
    Â»Hübsch.« Sie widmet sich einigen
millimeterbreiten Rissen im Stahlbeton des Kirchengebäudes.
»Frostschäden?«
    Â»Ja, unglücklicherweise sieht die Kirche nur so aus,
als wäre sie unverwüstlich. Der Turm ist keine vierzig
Jahre alt, und jetzt steht schon die zweite Sanierung bevor.«
    Â»Wieso wurde überhaupt Beton verarbeitet? Das hiesige
Klima dürfte für die Planer doch kein Geheimnis gewesen
sein. Hohe Luftfeuchtigkeit, häufige Frost-Tau-Wechsel, da sind
natürliche Baustoffe Trumpf. Granit wäre zum Beispiel
ideal.«
    Â»Ich glaube, ursprünglich wollte man Basalt verwenden,
da die Betonstifte in der Fassade Basaltsäulen symbolisieren
sollen, wie sie in der isländischen Natur vorkommen. Das wäre
vermutlich schlau gewesen.«
    Â»Ganz gewiss. Warum hat man es nicht getan?«
    Â»Zu teuer.«
    Â»Und was kosten die Instandsetzungen?«
    Schulterzucken. »Verzockt, würde ich sagen.«
    Ein Windstoß sandstrahlt Livs Gesicht und sie sucht Halt an
der Brüstung, wo ein Fangdraht Leichtsinnige und Selbstmörder
vor dem Fall schützt.
    Â»Gab es hier Suizide?«
    Â»Zwei. Danach wurde der Draht angebracht. Sollen wir gehen?
Dir ist kalt.«
    So wie er das sagt, wird ihr gleich warm.
    Der Organist: Dem Aussehen nach gehört er eher ans Mittelmeer
als an den Polarkreis. Nicht nur der schwarzen Haare wegen, die ihm
ständig in die Stirn fallen, auch sonst. Lediglich die Augen
sind von lichtempfindlicher moosgrüner Farbe mit schlammbraunen
Einsprengseln, und seiner Erscheinung fehlt zum Südländer
das exaltierte Gehabe. Das macht ihn anziehend, ebenso sein Alter,
jünger als sie, geschätzte dreißig und damit zum
Glück nicht lächerlich jung. Sein Gesicht hat etwas an
sich, dass sie es zwischen beide Hände nehmen möchte und
ihn auf die Stirn küssen, ausgiebig, aber nicht zu fest.
    Von daher ist Liv froh, dass die Begegnung nach der
Turmbesichtigung nicht zu Ende ist und er ihr stattdessen Tee
anbietet. Nicht gerade ihr Lieblingsgetränk, aber immerhin: Er
will augenscheinlich auch verlängern. In einem
nicht-öffentlichen Gemeindesaal serviert er ausgerechnet
Pfefferminztee, genauer gesagt eine Tasse heißes Wasser mit
einem Teebeutel.
    Â»Du interessierst dich also mehr für Gebäudeschäden
als fürs Abendrot«, stellt er

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