Wiedersehen in Barsaloi
sich mit jemandem unterhalten können, auch wenn sie sich nicht kennen. Wenn sie dann am Ziel ihrer Reise angekommen sind, berichten sie dem nächsten, wen sie alles getroffen haben und was derjenige ihnen erzählt hat. So wird das Gespräch immer länger und die Nachrichten verbreiten sich in ein paar Stunden über viele Kilometer. Und dann sehen sie ab und zu Weiße, die sich nur ein paar Minuten unterhalten und gleich weiterfahren oder -gehen. So denken sie, diese Menschen hätten keine Probleme, weil sie sich nicht lange unterhalten müssen. Dabei erzählen sich die Weißen nur nicht alle Probleme.«
Wie unterschiedlich die Dinge doch aufgefasst werden können! Unsere Gesellschaft ist dabei, zwischenmenschlich zu verarmen, weil immer weniger Kommunikation zwischen den Menschen stattfindet und viele dadurch krank werden. Die Einheimischen hier dagegen sehen gerade in unserer Sprachlosigkeit ein Zeichen dafür, dass wir keine Probleme haben.
Schon höre ich James weitersprechen: »Ich bin nun auch schon fast wie ein Mzungu. Ich arbeite viel und bin nur noch mit dem Motorrad unterwegs, weil ich eine Menge erledigen muss. Wenn ich dabei Leuten begegne, halten sie mich an der Straße an. Am Anfang dachte ich, es sei wichtig, und stoppte mit dem Motorrad. Aber meistens wollen sie nur wissen, woher ich komme und wohin ich fahre. Oder sie wollen mein Motorrad sehen und alles darüber wissen. Doch ich habe keine Zeit und antworte nur knapp mit ja oder nein. Manchmal erzähle ich nicht einmal, wenn zu Hause jemand krank ist, weil es zu lange dauern würde. Wenn allerdings derjenige später erfährt, dass ich das nicht erwähnt habe, bekomme ich das nächste Mal Vorwürfe. Die Leute können einfach nicht verstehen, dass ich einen Zeitplan einhalten muss, weil ich Verpflichtungen habe. Für sie spielt es keine Rolle, ob sie eine Stunde länger hier stehen oder nicht.«
Bei dieser Beschreibung merkt man ihm an, dass er auch stolz darauf ist, hier im Busch einer der Ersten zu sein, die ein neues, ein moderneres Leben führen. Mich stimmt es nachdenklich, weil es den beginnenden Zerfall der natürlichen Kommunikation andeutet. Letztendlich wird es wahrscheinlich für viele wie in Europa in der Einsamkeit enden.
Klaus spricht ihn darauf an, dass er die kleinen Dinge doch gar nicht mehr mitbekommen kann, wenn er mit seinem Motorrad so schnell durch die Gegend braust. Darauf entgegnet James, dass sich die Zeit eben auch schnell verändert. Lketinga widerspricht: »Mir gefällt das aber nicht. Heute haben viele Moran keine langen Haare mehr, wie ich sie früher hatte. Sie wollen das nicht mehr, auch weil sie zur Schule gegangen sind. Die Mädchen tragen nicht mehr so viel Schmuck, weil die Schulboys ihnen keinen schenken. Die Schulmädchen, wie meine Tochter Shankayon, haben gar keinen Schmuck mehr, weil das verboten ist. Sie wollen sich auch den roten Ocker nicht mehr auf die Haut reiben. Sogar die, die nicht zur Schule gehen, wollen lieber die Hautcremes aus Nairobi benutzen. Kein Mädchen trägt mehr einen Rock aus Tierhaut, der mit Perlen verziert ist, wie du das noch bei meiner Schwester erlebt hast. Nur noch bei Zeremonien werden diese Sachen angezogen.« James fügt hinzu: »Auch das wird in fünf oder zehn Jahren vorbei sein. Schon heute gibt es kaum mehr den traditionellen Halsschmuck aus Giraffenhaaren oder die Elfenbeinohrringe der Krieger.«
Alle diese Aussagen machen mich traurig, obwohl ja auch wir moderne Gegenstände hierher gebracht haben. Jetzt wird mir bewusst, dass ich keine jungen Mädchen oder Krieger gesehen habe, die noch die volle und ursprüngliche Pracht an Schmuck und Farben tragen, wie es noch vor vierzehn Jahren üblich war. Gerade diese fröhlichen und intensiven Farben des Schmuckes und der Kangas verkörpern die Heiterkeit und das intensive Lebensgefühl dieser Menschen. Sollte mit der Zeit das schöne Rot und das satte Blau und Gelb der Tücher und Decken weichen und sich stattdessen die europäische Eintönigkeit der Kleidung breit machen, wie wir dies bereits in Maralal gesehen haben, werden wohl auch der Optimismus und die Fröhlichkeit der Menschen schwinden. Nicht wenige konsumieren bereits heute Alkohol in rauen Mengen. Von den Jugendlichen haben zwar viele mittlerweile eine Schulausbildung, aber zum Erlernen eines Berufes oder zum Studieren fehlt ihnen das Geld. So leben sie mit dem erworbenen Wissen und einer eher westlichen Einstellung in ihrer Kultur und geben die traditionelle
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