Wiedersehen in den Highlands - Roman
Vieh zu versorgen. Conns riesige, zottelige Jungochsen waren in ihrem Pferch von dem schlimmsten Schneegestöber verschont geblieben, aber jetzt starrten sie finster über die Pfosten des Gatters und bekundeten ihr Unbehagen über ihre Gefangenschaft, indem sie brüllten und mit den Köpfen gegen die Wand des Kuhstalls stießen. Erst eine Schütte Heu, die Henry mit Kohlstrünken und ein paar Tropfen Melasse angereichert hatte, brachte sie auf andere Gedanken.
Tom hingegen war nicht so leicht zu besänftigen. Der Schneefall hielt ihn davon ab, auf die Felder und zu seinen kleinen Vergnügungen in die Stadt zu gehen. Eine Logen-Versammlung würde mit Sicherheit ins Wasser fallen. Außerdem war nicht anzunehmen, dass die Familie am Sonntag den Gottesdienst würde besuchen können, und der arme Mr. Turbot würde seine Weihnachtspredigt vor leeren Kirchenbänken halten müssen.
Tom blieb den ganzen Vormittag rastlos. Henry und er führten hitzige Debatten über den Nährwert von Viehfutter und warfen sich Beleidigungen an den Kopf, die immer spitzer wurden, bis Agnes, die Ärger roch, den Söhnen Einhalt gebot und sich strittige Themen am Essenstisch verbat.
»Er schmachtet, das ist alles«, plapperte Janet drauflos. »Sein Herz ist gebrochen, weil er nicht nach Drennan kann, um mit seinem Schatz zu schmusen.« Sie kicherte. »Und er kann ihr nicht einmal schreiben, weil auf den Straßen keine Postboten unterwegs sind.«
»Ein Glück, dass wir keine Lieferung von Conn erwarten«, sagte Betsy. »Denkt bloß, was für eine Mühe es wäre, sich bei diesem Wetter damit von Port Cedric hochzukämpfen.«
Toms Miene verfinsterte sich.
»Aye«, meinte Henry, »und die zweite Aussaat hatten wir im Handumdrehen in der Erde, stimmt’s? In den Furchen unter dem Schnee wird sie es schön warm haben.«
Sein Bruder blickte noch immer finster drein.
»Und wir haben genug Futter für die Tiere und genügend Essen für uns selbst«, sagte Agnes, »das heißt, wir können bei schlechtem Wetter ein, zwei Wochen hier ausharren, ohne zu leiden.«
»Aber Tom leidet«, warf Janet ein. »Seht euch nur seine säuerliche Miene an!«
»Lass ihn in Ruhe«, schimpfte Agnes. »Ihm geht viel durch den Kopf.«
Janet ballte die Faust, streckte den Ellenbogen und hob den Arm nur weit genug, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Aye, und wir wissen auch alle, was.«
»Herrgott noch mal!« Tom sprang auf. »Was ist denn los mit dir?« Er schlug mit der flachen Hand so fest auf den Tisch, dass die Teller und Tassen tanzten. »Daddy ist noch keine zwei Monate tot, und du sitzt selbstgefällig da und grinst. Wie viele Winter hat er denn Hunger gelitten, nur um uns satt zu bekommen? Hä? Hast du vergessen, wie es war, als wir nur eine Handvoll Hafer in der Tonne hatten und uns die Kohlstrünke mit dem Vieh geteilt haben?«
»Gerade weil wir das nicht vergessen haben, mein Sohn«, mischte Agnes sich ein, »freuen wir uns jetzt so über unsere verbesserte Lage.«
»Ha!«, brummte Tom. »Glaubst du etwa, das Geld, das wir haben, ist echt? Es ist nicht echter als ... als ein Märchen. Denkst du etwa, wir werden nie wieder Hunger leiden? Wenn du das annimmst, dann habe ich Mitleid mit dir. Hast du mich verstanden, ich habe Mitleid mit dir.« Und mit diesen Worten stapfte er zur Leiter, zog sich an den Armen hoch und verschwand auf dem Dachboden.
Janet sah ihre Mutter an und verzog das Gesicht. »Was hat er denn?«
»Ein schlechtes Gewissen«, sagte Henry.
»Ein schlechtes Gewissen?«, fragte seine Schwester. »Weswegen sollte er denn ein schlechtes Gewissen haben?«
»Er hat Daddy versprochen, sich um uns zu kümmern«, erklärte Henry.
»Es geht uns doch besser als je zuvor, oder?«, erwiderte Janet.
»Aye, aber das haben wir nicht ihm zu verdanken«, sagte Henry.
»Er fühlt sich betrogen«, ergänzte Agnes.
»Verstehe.« Janet blähte die Wangen. »Er muss der starke Mann sein, was? Er muss unser Retter sein?«
Henry nickte. »So ungefähr, ja.« Und dann, bevor seine Schwester allzu viele Fragen stellen konnte, tippte er Betsy am Arm an und bat sie, ihm zu helfen, die Schafe zu füttern, eine Einladung, die das Mädchen nur zu gern annahm.
Die Eichen hatten der Wucht des Windes Einhalt geboten, und die Schafe, die zumindest über einen Funken Verstand verfügten, hatten sich auf der windgeschützten Seite der gewaltigen Bäume zusammengekauert. Aber der Hunger hatte sie dazu getrieben, im Schnee herumzustöbern. Sie hatten im Pferch
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