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Wiedersehen in Kairo

Wiedersehen in Kairo

Titel: Wiedersehen in Kairo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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einer Falte seines Gewandes holte er einen Gegenstand hervor. »Sie wollen keine Träume? Aber vielleicht das.«
    »Was ist das?«, fragte St. Jones, um Zeit zu gewinnen. »Ich kann es nicht erkennen.« Dabei zog er sich Schritt für Schritt zu der belebten Gasse zurück.
    »Ein Uschebti.« Der Araber senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Dreitausend Jahre alt, sehr seltenes Stück, sehr wertvoll.«
    Ein Grabräuber oder ein Betrüger
, dachte St. Jones. »Ich sammle keine Altertümer«, wehrte er ab und wünschte sich in das Gewühl der Souks zurück.
    »Alle Engländer, die nach Ägypten kommen, sammeln diese Dinge.« Plötzlich packte der Araber St. Jones am Arm. »Komm ins Licht, ich zeige dir, wie schön sie ist.«
    St. Jones stieß den Mann erschrocken und heftig zurück, er war verblüfft, wie leicht es war. Der Araber taumelte, dabei fiel ihm die kleine Statue aus der Hand und zerbrach.
    »Das – tut mir leid, das wollte ich nicht.«
    Der Händler stand da und schwieg, und plötzlich war er nicht mehr bedrohlich, nur noch eine jener vielen armseligen Gestalten, die Kairo bevölkerten. Seine Stimme war jetzt heiser und merkwürdig gebrochen. »Geben Sie mir ein Pfund dafür, Sir?«
    »Ich werde den Schaden selbstverständlich ersetzen«, murmele St. Jones. »Kommen Sie!« Er lächelte freundlich, obwohl der andere es nicht erkennen konnte. Ein armer Teufel, den ein Windhauch umwarf, und vor ihm hatte er Angst gehabt? St. Jones trat an ein Holzkohlenfeuer heran, über dem einige Fleischspieße brieten. Der Araber folgte ihm, dabei zog er seinen Burnus, offensichtlich eingeschüchtert, noch tiefer ins Gesicht.
    St. Jones drehe sich zum Feuer hin, um den Inhalt seiner Börse zu überprüfen. Er zog rasch eine Pfundnote heraus und reichte den Schein mit einer knappen Drehung dem Araber, dessen Hand sich ihm entgegenstreckte. Der Feuerschein glitt über St. Jones Gesicht und spiegelte sich in den graugrünen Augen des Fremden, die sich in jähem Erschrecken weiteten.
    St. Jones sah in diese Augen, und seine Hand mit der Pfundnote verharrte wie festgefroren in der Luft. »David?«, flüsterte er.
    Augenblicklich senkten sich die Lider des Fremden, das grüne Feuer seiner Augen erlosch, die Antwort kam schroff und kalt: »Sie irren sich, ich heiße nicht David.« Er zog rasch die Tarha vor sein Gesicht, und im nächsten Augenblick war er in der Menschenmenge untergetaucht.
    St. Jones starrte auf den Geldschein in seiner Hand, den er noch immer sinnlos einem unsichtbaren Empfänger hinstreckte. »David«, murmelte er und hob den Kopf, als habe er erst jetzt das Verschwinden des Fremden bemerkt.
    »Eine schöne Kette für Ihre Frau, Sir? Kostet nur ein Pfund heute, ist guter Preis.«
    Ein Mann mit fleckigem Kopftuch schielte begehrlich auf das Geld und entblößte gleichzeitig eine Reihe schadhafter Zähne, was er offenbar für vertrauenerweckend hielt. St. Jones zuckte zusammen, dann schüttelte er den Kopf und stopfte sich die Pfundnote achtlos in die Brusttasche.
    Auf dem Rückweg durch die überfüllten Gassen wurde er erneut von allen Seiten bedrängt und angesprochen, doch er nahm es kaum wahr. Ist es schon so weit, dass ich dich hinter jedem hellen Augenpaar erblicke? Bin ich nach Kairo gekommen, um deinem Schatten nachzujagen, David? Denn ein Schatten bist du – du bist tot.
    Doch wer ist der geheimnisvolle Fremde mit Davids Augen? Zweifellos kein Araber, ein Engländer, gewiss. Sein fließendes Englisch! Und der Mann hat mich erkannt. Da war dieses Erschrecken, dann seine Flucht. Wahrscheinlich ein heruntergekommener Soldat, der mich aus Khartum kennt. Aber nicht David. Niemals! Er ist tot!
    St. Jones blieb plötzlich stehen, sodass zwei Männer von hinten in ihn hineinliefen. Sie murmelten eine Beschimpfung, aber St. Jones vernahm nur die bohrende Stimme in seinem Innern:
Und wenn er lebt? Wenn er lebt?
Wie ein fortwährendes Echo verfolgte ihn diese Frage.
    Wie er zu seinem Hotel zurückgefunden hatte, wusste er nicht mehr. Eine halbe Stunde später lag St. Jones im Bett, aber er konnte nicht schlafen. Wenn er die Augen schloss, sah er Davids Augen, hörte Davids Stimme: Wollen Sie Opium kaufen? – Ein Uschebti, sehr wertvoll. – Geben Sie mir eine Pfundnote, Sir?«
    Ein singender, fast weinerlicher Tonfall, eine Stimme, die zu einem Fellachen passte, der seine acht Kinder daheim ernähren musste, aber nicht zu Al Kadiz, nicht zu David – nicht zu David. Nur die Augen. Verdammt! Viele Engländer

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