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Wiedersehen in Kairo

Wiedersehen in Kairo

Titel: Wiedersehen in Kairo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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wo ein Feigenbaum aus dem Gestein wuchs, lag ein Mann in einer blauen Djellaba und dunkelblauem Kopftuch. St. Jones konnte sein Gesicht nicht sehen, aber plötzlich begann sein Herz zu trommeln. Etwas Vertrautes ging aus von diesem Mann – die Art, wie er dalag, halb auf der Seite, den Kopf in der Armbeuge. St. Jones näherte sich vorsichtig. Für einen Augenblick kam er sich lächerlich vor.
Schlimmer als lächerlich
, dachte er,
ich bin verrückt. Selbst wenn es der Mann von gestern Abend sein sollte, ich werde mich nur in Schwierigkeiten bringen.
    Und doch musste er es riskieren.
    »David?«
    St. Jones hatte leise gesprochen, aber der Fremde machte eine Bewegung. Hatte er nur im Schlaf gezuckt?
    »David?«, fragte St. Jones noch einmal, jetzt lauter. Der Mann schien fest zu schlafen.
    Da ließ sich St. Jones neben ihm auf die Knie nieder, auf Beschimpfungen gefasst, jederzeit bereit zur Flucht, aber er musste den Mann berühren, sein Gesicht sehen.
    Vorsichtig streifte St. Jones das Tuch zurück, lange silberblonde Strähnen fielen dem Fremden in die Stirn, und ein qualvolles Stöhnen kam aus seiner Brust. Plötzlich wirbelte er herum, das Tuch löste sich und glitt von seinen Schultern. St. Jones hatte David gefunden. Sein Gesicht war unrasiert, grau und eingefallen, aber es war David. Und in seinen hellen Augen brannte Hass. »Warum verfolgst du mich, Raymond?«
    St. Jones suchte nach Worten, aber er hatte nicht einmal mehr Atem.
    David sprang auf, da war noch ein Rest der alten Geschmeidigkeit von Al Kadiz, der Katze, aber seine Hand zitterte leicht, als er sich den Schleier vor das Gesicht legte. »Geh! Mach, dass du wegkommst! Du und ich, wir haben miteinander nichts mehr zu schaffen!«
    »Ich hielt dich für tot«, würgte St. Jones hervor. »Aber du lebst. Ich kann es kaum fassen, du lebst.«
    »Wenn du meinst – ich weiß es nicht mehr. Für dich bin ich tot, St. Jones. Verschwinde!«
    St. Jones streckte die Hand aus. »Weshalb versteckst du dein Gesicht vor mir?«
    »Es gehört nicht mehr zu deinem Leben, Zeichner. Vergiss es!« David wich zurück.
    »Mich schickst du nicht fort wie dein Reitkamel«, versuchte St. Jones zu scherzen. Er legte seine Finger auf die schmale Hand, die nicht imstande war, das Tuch ohne Zittern festzuhalten. Heißes Mitleid überkam ihn mit diesem Mann und mit seinem hilflosen Hass, geboren aus Beschämung. Sanft zog St. Jones Davids Hand herunter, seine Haut fühlte sich trocken an und rau. »Willst du dein Selbstmitleid hinter der Tarha verbergen, David Forsythe?«
    Ein Beben ging durch Davids Körper. Ein Blinder konnte es sehen: David war krank.
    St. Jones bemerkte die Schwäche seines Freundes und dass seine Selbstbeherrschung unter der zarten Berührung fast zusammenbrach. Aber der Zusammenbruch war unvermeidlich, und wenn er kommen musste, dann jetzt, wo St. Jones seinen Freund auffangen konnte.
    »Es geht mir ausgezeichnet«, gab David scharf zur Antwort, doch er hatte nicht die Kraft, sein Handgelenk aus St. Jones Griff zu befreien.
    »Unsinn! Du brauchst Hilfe.« St. Jones hielt Davids Arm fest. »Was ist es? Ist es das Opium?«
    Davids Lippen zuckten, der Hass in seinen Augen wich auswegloser Verzweiflung. Er wollte antworten, doch er bewegte nur die Lippen. Er machte einen kümmerlichen Befreiungsversuch. Plötzlich schwankte er, St. Jones stützte ihn am Ellenbogen.
    »Fass mich nicht an!« zischte David.
    St. Jones legte ihm energisch den Arm um die Mitte. »Weißt du was? Auf deinen verfluchten Stolz pfeife ich. Du kommst jetzt mit mir. Und wage nicht, mir zu widersprechen. Ich bin dein Freund, und von einem Freund nimmt man gefälligst Hilfe an. Benimm dich nicht wie ein Kamel mit einem Sonnenstich, das an der Wasserstelle vorbeirennt.«
    »Richtig poetisch bist du in der Zwischenzeit geworden«, brummte David. »Sei nur vorsichtig, wenn du einen Rauschgiftsüchtigen aufliest, das könnte dich in Schwierigkeiten bringen.«
    »In denen bin ich bereits. Es ist Ihre Gabe, mich immer wieder hineinzuziehen, Herr Forsythe.«
    »Lass mich endlich los, oder glaubst du, ich kann nicht mehr alleine gehen?«

Sir Mountbatten, der Vorsitzende der Eisenbahngesellschaft, stand an der Rezeption und machte große Augen, als er in dem Nomaden, der den Zimmerschlüssel für 211 verlangte, den Berichterstatter St. Jones erkannte. Neben ihm stand ein heruntergekommener Araber. St. Jones nahm den Schlüssel in Empfang und wollte mit dem Araber zur Treppe gehen, als Mountbatten

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