Wiedersehen in Stormy Meadows
stattdessen ein Glas Chardonnay. Erst dann darf ich mir die Schuhe ausziehen und meinen Mantel aufhängen.
»Heute Abend wird nicht gearbeitet, Nat«, bestimmt sie und packt meine Sachen auf den Telefontisch. »Der Abend ist zum Ausruhen da. Kennst du das Wort überhaupt noch? Ausru-hen.«
Ich will protestieren, schließlich muss ich noch etwas lesen, aber Petra schneidet mir mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Für eine Siebentagewoche und Schuften rund um die Uhr zahlt Elaine dir einfach nicht genug, also keine Widerrede. Jetzt geh nach oben und zieh dir was Bequemeres an … und mach schnell. Ich hab eine Überraschung für dich.«
Dankbar nippe ich an dem Wein, gebe Petra das Glas zurück und trotte wie befohlen nach oben.
Als ich zurückkomme, steht Petra in der Küche. Hinter dem Rücken verbirgt sie etwas, dabei grinst sie wie ein Honigkuchenpferd.
»Was hast du denn da?« Ich verrenke mir fast den Hals, um hinter sie zu sehen.
»Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht.« Langsam weicht sie zur Seite und gibt den Blick auf eine große Glaskugel voll Wasser frei, die auf der Arbeitsplatte steht. Darin schwimmt ein einsamer Goldfisch.
»Ein Fisch«, stelle ich verdattert fest.
»Nee, das ist ein Papagei«, witzelt sie. »Heißt Meryl.« Wieder grinst Petra mich an.
»Woher weißt du denn, dass er ein Mädchen ist?«
»Na, wenn sie ein Junge wäre, dann hieße sie doch Bob oder so, stimmt’s?« Petra schiebt mir das Goldfischglas hin, und etwas zögernd nehme ich es in die Hände.
»Danke.«
»Du hältst mich für verrückt, was?«
»Ja, aber das hat nichts mit dem Fisch zu tun«, antworte ich, während ich beobachte, wie Meryl unter einer kleinen blauen Brücke hindurchschießt und sich dann zwischen ein paar grünen Wedeln versteckt, weil sie sieht, dass ich in ihr Glas hineinschaue. Das Fischlein beäugt mich einen Moment, dann kommt es wieder hervor und drückt die kleine Nase an die Glaswand. Mit schwarzen Kugelaugen glotzt es mich an.
»Siehst du? Sie mag dich!«, ruft Petra vergnügt.
Ich spüre, wie ein Lächeln meine Mundwinkel nach oben zieht. Zu den vielen Eigenschaften, die ich an Petra liebe, zählt ihre Fähigkeit, mich zum Lachen zu bringen, egal, wie schlecht es mir gerade geht. Ohne sie hätte ich niemals überlebt. Mit einer nahezu telepathischen Fähigkeit spürt sie, wann ich sie brauche und wann ich lieber allein sein möchte. Sie denkt an die Dinge, die ich vergesse, füllt meinen Kühlschrank auf, holt meine Klamotten aus der Reinigung oder zaubert sogar noch eine frische Milch herbei, wenn der letzte Tropfen gerade in einer meiner ungezählten Tassen Kaffee verschwunden ist. Und sie ist jederzeit bereit, mir zuzuhören, auch wenn ich ihr alles schon tausendmal erzählt habe.
Nach dem Essen sinken wir auf das Sofa im Wohnzimmer. Die Flasche Wein steht vor uns auf dem Couchtisch, daneben dreht Meryl in ihrem Glas endlos ihre Runden.
Während ich den kleinen Goldfisch beobachte, fühle ich mich ihm seltsam verbunden. Ziehe ich nicht auch endlos Kreise? Aus lauter Angst, dass ich zu Leblosigkeit erstarren könnte, wenn ich einmal zur Ruhe käme … und dann würde ich untergehen und ertrinken. Also halte ich nicht inne und sperre alles tief in mir weg, so tief, dass ich es nicht berühren und dass es auch nicht nach mir greifen kann. Wohl kaum die gesündeste Art, mit meiner Situation umzugehen, das weiß ich. Ich bin ständig in Bewegung, komme aber nicht vorwärts, denn ich fürchte mich so sehr vor dem Schmerz, dass ich ihn nicht zulassen und mich folglich auch nicht davon befreien kann.
Petra hat erkannt, dass ich mir damit schade. Ständig will sie mich dazu bringen, über Rob zu sprechen, mich zu öffnen und so zu genesen. Ich will nicht über ihn sprechen, will auch nicht an ihn denken, aber der Wein löst mir die Zunge, und endlich entspinnt sich das Gespräch, auf das Petra schon den ganzen Abend – nein, das ganze Jahr – hingearbeitet hat.
»Ich vermisse ihn so sehr.«
»Ja, ich weiß.«
»Weißt du auch, wann ich das immer ganz besonders merke?«
Petra antwortet nicht. Schweigend ermutigt sie mich, weiterzusprechen. Ich genehmige mir noch einen Schluck Wein, dann wende ich mich mit einem dünnen Lächeln zu ihr.
»Wenn ich kalte Füße habe.«
»Kalte Füße?« Erstaunt sieht sie mich an.
»Ja. Bis ich Rob kennenlernte, hatte ich im Bett immer eisige Füße. Er hat meine Füße warm gehalten. Zwischen seinen. Das war, als würde ich neben einer Heizdecke
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