Wiedersehen in Virgin River
Ich will damit sagen, solche Sachen muss man nicht überstürzen. Es hat keinen Sinn, sich mit Dingen zu belasten, die dann einfach zu viel werden. Du bist erst siebzehn. Du hast noch Zeit.“
„Ungefähr dasselbe hat Jack auch gesagt …“
Preacher grinste. „Ach, hat er das?“ Jack und er hatten darüber geredet. Oft.
„Mein Gott“, sagte Rick und schüttelte den Kopf. „Ihr beiden, ihr seid die besten Freunde, die ich je hatte.“
„Das gebe ich dir gerne zurück, mein Freund. Du darfst einfach nur nie in Panik geraten. Es kann sich alles von selbst ergeben.“
„Vielleicht stimmt das ja“, meinte Rick.
„Mit Sicherheit stimmt das. Du hältst dich gut, Kleiner. Du solltest ein wenig an dich selbst glauben. Wir alten Knacker sind richtig stolz auf dich.“
Nachmittags kam Mel in die Bar und fragte nach Jack. Preacher sagte ihr, dass er zu ihrem Grundstück rausgefahren sei, um mit Mike Schießübungen zu machen. „Wo ist Paige?“ Mel sah sich um.
„Sie hat sich mit Chris wohl etwas hingelegt, glaube ich. Sie wollte ihn auf ein Nickerchen hochbringen und sich vielleicht etwas zu ihm legen.“
Mel warf einen Blick auf ihre Uhr. Sie hatte noch fünfundzwanzig Minuten vor ihrem nächsten Termin totzuschlagen, und genau auf eine solche Gelegenheit hatte sie gewartet. Also schwang sie sich auf einen Hocker und sah Preacher an. „Paige scheint sehr glücklich zu sein“, stellte sie fest.
Preachers Miene nahm einen sehnsüchtigen, verklärten Ausdruck an. „Das ist sie auch“, sagte er. „Ich kann’s gar nicht fassen.“
Mel musste einfach kichern. „Könnte ich wohl ein Ginger Ale haben? Ich wollte mit dir über etwas reden …“
Er schüttete ihr ein Glas ein und stellte es vor sie auf eine Serviette. „Ja?“
„Du erinnerst dich doch noch an damals vor ein paar Monaten, als die Jungs zum Angeln und Pokern hier oben waren und Jack dann hinterher diesen Zusammenbruch hatte, sich volllaufen ließ, bis er umfiel, und dann ins Bett gebracht werden musste. Du hattest mir gesagt, dass die Vergangenheit ihn manchmal einholt und es eine Weile dauern würde, bis er wieder stabil sei.“ Preacher nickte kurz und runzelte die Stirn. „Also, du weißt doch, was das war, stimmt’s? Ich bin mir sicher, dass sie euch beim Marine Corps etwas darüber gesagt haben, wenn ihr im Kampf eingesetzt wart.“ Er sah sie nur an. „Posttraumatische Belastungsstörung. PTSD.“
„Hat er damit noch Probleme?“, fragte Preacher.
„Nein, so weit geht’s ihm gut. Aber ich behalte es im Auge. Ich will dir eine Geschichte erzählen. Es dauert nicht lange. In dem Krankenhaus in L. A., in dem ich damals gearbeitet habe, hatte ich eine Freundin. Sie war in der Verwaltung, älter als ich. Eine großartige Frau. Als ich sie kennenlernte, war sie bereits zwanzig Jahre in zweiter Ehe verheiratet. Eines Abends hat sie mir bei einem Glas Wein von ihrer ersten Ehe erzählt. Diese Ehe war kurz und extrem gewalttätig. Regelmäßig hat er sie zu Brei geschlagen. Und auch wenn es in ihrer zweiten Ehe absolut freundlich und liebevoll zuging, nahm sie manchmal einen Ausdruck im Gesicht ihres Mannes wahr oder einen Ton in seiner Stimme – von seiner Seite aus absolut unschuldig. Trotzdem wurde damit etwas aus ihrem früheren Leben mit ihrem Exmann heraufbeschworen, und sie wurde von Gefühlen überschwemmt. Angst, Wut, Terror. Sie war total erschreckt, fühlte sich deprimiert, und jedes Mal war es eine Herausforderung für sie, damit fertig zu werden. Sie sagte mir, dass es ihr vorkam, als wäre ihr Nervensystem darauf programmiert in einer bestimmten Weise zu reagieren, etwas, das ihr geholfen hatte, die erste Ehe zu überleben. Aber sie fühlte sich schlecht wegen der Gefühle, die ihre Reaktion bei ihrem zweiten Mann auslösen musste. Als hätte er etwas Falsches getan, wo doch das Fehlverhalten Ewigkeiten zurücklag.“
Preacher senkte den Blick. „Du meinst, ich könnte sie irgendwie an diesen Scheißkerl erinnern?“
„Nicht wirklich, nein“, sagte Mel. „Das läuft eher unterschwellig. Irgendetwas Harmloses, Unschuldiges ‚suggeriert ‘ diese frühere Zeit … denn …“ Mels Erklärung verlor sich.
Nach einem Augenblick des Schweigens meinte Preacher: „Ich kann es verstehen. Wie bei einem Kriegsveteranen, der ein Feuerwerk hört und sich plötzlich fühlt, als wäre er wieder im Feuergefecht.“
„Genau das“, stimmte sie ihm zu. „Und dann ist da noch die Sache mit der Scham. Meine Freundin, sie
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