Wiedersehen in Virgin River
werden Sie wirklich sehr vorsichtig sein müssen. Sie sollten beim Einkaufen bar bezahlen, hm?“ Er zog seine Brieftasche hervor, nahm ein paar Scheine heraus und fing an, sie auseinanderzufalten, indem er erst einen hinlegte, dann den zweiten, dann …
Paige verlor jede Farbe aus dem Gesicht. Sie riss die Augen auf und hatte offensichtlich Angst. Dann schüttelte sie den Kopf und trat zurück.
„Sagen Sie … Sagen Sie Mel, dass ich einiges … zu tun habe … Okay?“
Mit gerunzelter Stirn legte Jack den Kopf zur Seite und fragte: „Paige?“
Paige wich immer weiter zurück, bis sie an der Wand stand, die Hände hinter dem Rücken, das Gesicht weiß wie Alabaster. Dann lief ihr eine Träne über die Wange.
Preacher legte seine Brieftasche auf den Tresen und sagte: „Lass uns mal eine Minute allein, Jack.“ Dann nahm er seine Schürze ab und ging auf sie zu. Als er näher kam, ließ sie sich an der Wand zu Boden gleiten und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Preacher kniete sich vor sie hin, nahm sanft ihre Hände, zog sie ihr vom Gesicht und hielt sie fest. „Paige“, sagte er leise. „Paige, sehen Sie mich an. Was ist da gerade geschehen?“
In ihrem Gesicht stand Panik, und die Tränen liefen ihr über die Wangen, doch er hörte, wie sie flüsternd sagte: „Genauso hat er es immer gemacht. Er hat sein Geld aus der Tasche gezogen und gesagt: ‚Geh und kauf dir was Nettes.’ Das hat er so oft getan. Später hat er mir das Geld dann hingeworfen und gesagt, er könne es sich nicht leisten, eine Frau zu haben, die aussieht wie eine Landstreicherin.“
Preacher setzte sich neben sie auf den Boden. „Aber haben Sie denn auch zugehört, was ich gesagt habe? Das war überhaupt nichts in der Art, oder? Ich habe gesagt, Sie sollten vorsichtig sein und Ihre Kreditkarte nicht benutzen.“
„Das hatte ich verstanden“, flüsterte sie. „Aber habe ich Ihnen denn schon erzählt, dass ich ihn geheiratet habe, weil mir die Beine wehtaten?“
„Sie haben gar nichts über ihn erzählt. Überhaupt nichts. Das ist auch in Ordnung so. Sie müssen gar nichts sagen, es sei denn, Sie wollen es.“
„Ich war Kosmetikerin. Haare, ich habe Haare frisiert. Manchmal zwölf Stunden am Tag, weil die Bezahlung so schlecht war. Wir haben wirklich hart gearbeitet, aber es hat kaum für die Miete gereicht, und es war wirklich ein Loch, in dem meine Mitbewohnerinnen und ich gelebt haben. Es hat mir dort gefallen, aber ich war müde, hatte nie Geld und ich hatte Schmerzen. Meine Beine taten mir weh“, wiederholte sie. „Ich wusste, er war nicht gut für mich, und meine Freundinnen haben ihn gehasst. Ich habe ihn geheiratet, weil er gesagt hatte, dass ich dann nicht mehr arbeiten müsste.“ Nun lachte und weinte sie zugleich. „Weil ich doch überhaupt nichts besaß. Ich hatte nichts …“
„Typen wie er wissen, welchen Köder sie auslegen müssen“, erklärte Preacher. „So etwas haben die im Gespür.“
„Woher wissen Sie das?“
Er zuckte die Schultern. „Habe ich irgendwo gelesen.“ Dann wischte er ihr eine Träne von der Wange. „Es war nicht Ihre Schuld. Nichts davon war Ihre Schuld. Sie wurden betrogen.“
„Jetzt habe ich wieder nichts“, fuhr sie fort. „Einen kleinen Koffer, ein Auto mit gestohlenen Nummernschildern, ein Kind und ein weiteres Kind unterwegs …“
„Sie haben alles“, hielt er ihr vor. „Ein Auto mit gestohlenen Nummernschildern, einen Sohn, ein Baby, das unterwegs ist, Freunde …“
„Ich hatte einmal Freundinnen“, jammerte sie. „Sie hatten Angst vor ihm. Er hat sie vertrieben, und ich habe sie für immer verloren.“
„Sehe ich etwa aus wie ein Freund, dem er Angst einjagen kann? Den er vertreiben kann?“ Behutsam zog er sie auf seinen Schoß, und sie legte den Kopf an seine Brust.
„Ich weiß nicht, warum ich noch immer so verrückt bin“, sagte sie leise. „Er ist nirgendwo in der Nähe. Auf diesen Ort hier wird er niemals kommen. Und doch habe ich immer noch Angst.“
„Ja, so etwas kommt vor.“
„Du hast nie Angst“, meinte sie.
Leise lachte er in sich hinein, freute sich, dass sie ihn endlich einfach duzte, und streichelte ihren Rücken. Er fürchtete so manches, und an erster Stelle fürchtete er den Tag, an dem sie diese Probleme gelöst haben und mit Christopher abreisen würde. „Das glaubst du. Bei den Marines hieß es immer, dass jeder Angst hat und dass es nur darauf ankäme, zu lernen, wie man seine Angst zu seinem Vorteil nutzen kann.
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