Wiedersehen in Virgin River
pfirsichfarben mit einer Linie, einer Narbe in der Unterlippe. Er wusste, woher das kam. Jetzt konnte er sich wieder besser erinnern. Ihre Augen, ein warmes erotisches Grün, gerahmt von dichten dunklen Wimpern und perfekt gebogenen Brauen. Unter Preachers Arm schmiegte sie sich an ihn.
„Es ist einfach nicht zu fassen“, sagte Mike und lachte. „Ihr zwei habt die schönsten, erotischsten Frauen ausgerechnet hier im Hinterwald gefunden. Sollte nicht wenigstens eine von euch in Los Angeles sein?“
„Tatsächlich kommen wir beide aus Los Angeles“, sagte Mel. „Und beide haben wir glücklicherweise den Weg in den Hinterwald gefunden.“
Preacher hat mit Sicherheit keine Ahnung, was er da im Arm hält, dachte Mike. Und wahrscheinlich fühlt er sich im Moment ein wenig bedroht, denn er kennt ja meine leichtfertige Art im Umgang mit Frauen – beinahe jedermanns Frau. Trotz lahmer Hand und Stock. Er weiß ja nicht …
„Na so ein Pech aber auch“, meinte Mike und hob sein Glas. „Also, auf euer Glück. Euch allen.“ Er sah Jack an. „Tut mir leid, Sarge, aber ich bin fertig. Diese Fahrt. Es war viel anstrengender, als ich gedacht hatte. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich …?“
„Komm mit“, unterbrach ihn Jack. „Du kannst mir zum Waldhaus raus hinterherfahren, und ich helfe dir dann, dein Gepäck auszuladen. Ruh dich etwas aus, und vielleicht hast du ja später Lust, noch einmal zurückzukommen und Preachers Abendessen zu probieren. Wenn nicht, bringe ich dir etwas mit nach Hause.“
„Danke, mein Freund.“ Er streckte seine gesunde Hand aus, um Preacher die Hand zu schütteln.
Preachers Miene hellte auf. „Schön, dass du hier bist, Mike. Wir werden dich schon wieder aufpäppeln.“
Jeden Morgen trank Mike einen der Proteinshakes, die Mel ihm verabreichte, auch wenn sie gotterbärmlich schmeckten. Dann hob er eine Weile mickrige Gewichte und machte seine Dehnungsübungen. Gegen zehn Uhr vormittags war er in Schweiß gebadet und brauchte eine Dusche und ein Nickerchen. Sich hinzulegen hatte immer denselben Effekt, nämlich Muskelkater und Schmerzen, wenn er wieder aufstand. Er zwang sich hoch, versuchte, die Stellen zu kühlen und wenn möglich gegen drei in der Bar zu sein, um die Schmerzen mit einem Bier dämpfen zu können, bevor er Mel in der Praxis aufsuchte. Sowie er dort eintraf, bearbeitete sie ihn genauso brutal wie irgendein Physiotherapeut. Mit einer Tiefenmassage von Schulter und Oberarm fing sie an, dann ging es los mit den Übungen. Es reichte aus, um ihn wie ein Baby heulen zu lassen.
Mit seinem rechten Arm hob er seitwärts ein Gewicht von einem Pfund und schaffte es nicht einmal auf Schulterhöhe. Dennoch lobte sie ihn dafür, aber es war eine Qual. Keine drei Teller auf einmal konnte Mike aus einem Schrank heben. Er hatte es versucht und dabei zwei davon zerschlagen. Dann war er die ganze Strecke nach Fortuna gefahren, um sie wieder zu ersetzen.
Hin und wieder nahm er auch schon mal seine rechtshändige 9mm in die Hand, hob sie hoch und versuchte, sie mit ausgestrecktem Arm vor sich zu halten und dabei über das Rohr zu zielen. Keine Chance.
„Ich denke wirklich, wir sollten dich einem Orthopäden vorstellen. An der Küste kann ich einen für dich finden“, schlug Mel vor.
„Nein. Keine weiteren Operationen“, wehrte er ab.
„So könnte es aber sehr viel länger dauern.“
Er fürchtete sich jedoch vor ärztlichen Kunstfehlern … wenn sie einen aufschnitten, um eine Sache zu reparieren, und dabei etwas anderes verpfuschten. „Was habe ich denn sonst zu tun? Sparen wir den Orthopäden. Ich werde es schon schaffen.“
„Hast du noch andere Probleme?“, fragte sie ihn. „Der Kopf und die Leiste?“
„Alles bestens“, antwortete er, ohne ihr dabei aber in die Augen zu sehen.
Nach fast zwei Wochen in Virgin River und acht Wochen nach seiner OP brachte er immer noch keinen Sit-up zustande. Aber er hatte etwas Gewicht zugelegt, und es fiel ihm leichter, aufrecht zu gehen, also hatten sich die Dinge doch etwas verbessert. Und seine Freunde – Jack, Mel, Preacher, Paige – standen es gemeinsam mit ihm durch und bestärkten ihn bei jeder Bewegung.
An manchen Tagen, wenn die Sonne schien, konnte er zum Virgin rausfahren und den Anglern zusehen. Besonders gern beobachtete er Jack und Preacher beim Auswerfen ihrer Leinen, und noch besser gefiel es ihm, wenn sie den Jungen Rick dabei hatten. Als Kind hatten sie es ihm beigebracht, und jetzt war er ein Meister
Weitere Kostenlose Bücher