Wiedersehen mit Vamperl
sie sahen auch fast aus wie Zwillinge, beide so
strubbelig, dassman sie gern gekrault hätte, beide lachten viel. Im Moment hielten sie einander an den Händen, Dennis hatte seinen Gugelhupf
in der Linken, Denise ihren in der Rechten. Sie bissen immer gleichzeitig ab.
Die Dame neben ihnen stellte sich als Hexe Lucinda vor. Frau Lizzi hätte gern gewusst, welcher Name in ihrem Pass stand, höchstwahrscheinlich
Lieschen Müller, dachte sie und kicherte in sich hinein.
Der junge Mann mit dem Bärtchen hatte am Nebentisch Platz genommen, er redete sehr laut und erzählte einen Witz nach dem anderen.
Sein rotgesichtiger Nachbar schlug sich auf die Schenkel beim Lachen, eine Frau mit hochgetürmten Haaren glubschte ihn aus
runden braunen Augen an.
Frau Lizzi fand, dass sie sich mit ihren Mitreisenden jedenfalls nicht langweilen würde. Es machte ihr Spaß, sie zu beobachten.
Nach der Kaffeepause stiegen alle wieder in den Bus. Frau Lizzi war noch nie so weit weg von daheim gewesen. Es wunderte sie
ein bisschen, dass es auch hier Kühe auf den Wiesen gab und Häuser, die aussahen wie in den Dörfern rund um Wien.
Was hast du denn erwartet?, fragte sie sich. Dass sie auf den Dächern stehen? Da wären doch die Schornsteine im Weg und wackelig
wär die ganze Angelegenheit. Sie grinste.
Der Busfahrer schaute gerade in den Rückspiegel und hob fragend eine Augenbraue. Sie wiegte den Kopf hin und her und lächelte
ihm zu, er lächelte zurück. Der war gar nicht so finster, wie sie im ersten Moment geglaubt hatte. Der war sogar ausgesprochen
nett. Wenn sie auf dieser Reise einmal Hilfe brauchen sollte, wäre er wahrscheinlich der Erste, an den sie sich wenden würde.
Ganz bestimmt nicht dieser geschniegelte Reiseleiter.
Eine unruhige Nacht
Am frühen Abend blieb der Bus vor einem kleinen Hotel mitten im Wald stehen. Nach dem Essen brachte der Kellner Getränke und
stellte auf jeden Tisch eine Kerze. Dann löschte der Reiseleiter die Lampen.
»Verehrte Freunde«, begann er und ließ seine Stimme dunkel und geheimnisvoll klingen. »Ich möchte Sie nun bitten uns über
Ihre eigenen Erfahrungen mit Vampiren, Geistern, Kobolden, UFOs oder Gespenstern zu berichten, mit einem Wort über alles,
was Sie erlebt haben, das sich die Naturwissenschaft nicht erklären kann.«
Die Stühle knarrten laut, die Gläser wurden mit Nachdruck auf die Tische gestellt.
Dann erhob sich Frau Schmied. Sie stand nicht einfach auf, sie erhob sich,ließ den bunten Schal um ihre Schultern flattern, ließ ihre Hände tanzen, schüttelte ihre langen Haare, schloss die Augen,
riss sie dann weit auf, blickte von einem Ende des Saales zum anderen und begann zu erzählen, wie sie in einer lauen Juninacht
von Außerirdischen entführt worden war.
»Der Anführer war ein wunderschöner junger Mann mit silbernem Haar und strahlend grünen Augen, Augen wie ein Bergsee, Augen
wie die herrlichsten Smaragde, hineinspringen wollte ich in diese Augen und darin ertrinken ...«
Herrn Schmieds Kopf fiel herab. Er schnarchte.
Frau Schmied beugte sich vor, flüsterte so deutlich, dass man es noch im letzten Winkel hören konnte: »Er nimmt sich das alles
so zu Herzen, er versteht einfach nicht, dass dies eine Begegnung völlig anderer Art war. Eifersucht ist hier fehl am Platz.
Es ist, als wollteman auf die Sonne eifersüchtig sein, weil auch sie die Geliebte küsst.«
Aus dem Mund ihres Gatten explodierte ein neuer Schnarcher.
Frau Lizzi hielt mit Mühe das Lachen zurück, das in ihr gurgelte.
Überrascht sah sie, wie gebannt die Damen Pfeiffer zuhörten. Die Mutter lauschte mit offenem Mund, die Tochter rang die Hände.
Anschließend hielt der Privatgelehrte Stanzer einen Vortrag, in dem so viele Fremdwörter vorkamen, dass Frau Lizzi es aufgab,
ihm zu folgen. Lucinda rückte immer näher zu seinem Tisch, Eusebius schrieb eifrig mit, Dennis und Denise nickten zu jedem
Satz. Einige Zuhörer wurden unruhig und begannen zu tuscheln.
Frau Lizzi dachte an Vamperl. Würde sie ihn je wiedersehen? Sie überlegte, ob sie diesen Leuten von ihm erzählen sollte. Ob
sie ihr bei der Suche helfen würden? Vier Augen sehen mehr alszwei, so hieß es doch, und vierzig Augen mussten sehr viel mehr sehen als zwei, die noch dazu ziemlich alt waren.
Nein, entschied sie schließlich. Es war besser, ihre Geschichte für sich zu behalten. Die würden ihr wahrscheinlich gar nicht
glauben, die glaubten, was sie glauben wollten, und
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