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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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herauszufinden, ob er wirklich zu ihren Hauptverdächtigen zu zählen war. Werthen fragte sich, ob der Mann sich wohl an ihn erinnern würde; immerhin war auf dem Friedhof eindeutig die Wut mit Hanslick durchgegangen; er hatte ja noch getobt, als der Gendarm bereits in den Streit eingegriffen hatte. Falls Hanslick ihn jedoch erkannte, könnte dies nach Ansicht von Gross auch sein Gutes haben. Vielleicht fühlte der Kritiker sich unwohl und wäre ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihre Vertrauenswürdigkeit, die durch den Prinzen Montenuovo beglaubigt war, machte sie für einen sobürgerlichen Mann wie Hanslick unangreifbar. Die Situation für den Kritiker wäre undurchschaubar, wenn er feststellen musste, dass ein Mann, den er als gemeinen Dieb beschuldigt hatte, in Wahrheit ein Abgesandter des Oberhofmeisters war.
    »Ich habe einen Besuch bei der
Arbeiter Zeitung
geplant«, erklärte Berthe. »Zumindest wenn es mir gelingt, diese Übelkeit zu kontrollieren. Ich habe schon seit Monaten nicht mehr mit Viktor Adler gesprochen. Er zählte früher zu den persönlichen Freunden Mahlers.«
    Werthen nickte. »Und du denkst noch immer, dass es gut ist, die kleine Reise nach Altaussee zu unternehmen?«, erkundigte er sich.
    Sie wollte gerade explodieren, als sie einen Moment nachdachte und verstand, dass er lediglich seine Sorge um sie zeigen wollte und nicht versuchte, sie zu kontrollieren.
    »Vielleicht können wir noch ein wenig abwarten. Schließlich kehren sie alle nächsten Monat nach Wien zurück. Ich kann auch dann noch mit Natalie sprechen.«
    »Und Tor?«, fragte Werthen. »Ich denke, du hast völlig recht mit deiner Einschätzung, dass Mahler etwas zu fordernd wird und sich viel zu sehr auf mich stützt. Was soll ihm schließlich schon passieren, wenn die Polizei Tag und Nacht auf ihn aufpasst?«
    Sie fassten den Entschluss, Tor lieber früher als später loszusenden. Berthe würde sich noch an diesem Morgen darum kümmern. Tor könnte am späten Nachmittag in Altaussee bei Mahler eintreffen und bereits am Donnerstag nach Wien zurückkehren. Werthen würde am Nachmittag in die Kanzlei gehen und ein paar Arbeiten zu Ende führen. Gross hatte erwähnt, er wolle mit den Aufwartefrauen sprechen, die fürBrahms und Bruckner gearbeitet hatten, und Werthen war der Ansicht, dass Gross diese Aufgabe sehr gut alleine bewältigen konnte.
    »So«, sagte er und trank seinen letzten Schluck Kaffee. »Da mit wäre alles erledigt.«
    Berthe schluckte schwer und legte den knusperigen Toast, den sie gerade hatte essen wollen, wieder zur Seite.
    »Bei mir leider nicht«, stieß sie hervor, sprang auf und lief ins Badezimmer.
     
    Sie trafen Eduard Hanslick im
Café Frauenhuber
in der Himmelpfortgasse im Inneren Bezirk. Es war zwar eines der neuesten Cafés von Wien, das Gebäude jedoch hatte eine lange Geschichte. Nachdem es fünfhundert Jahre lang ein öffentliches Badehaus gewesen war und für die Reinlichkeit der Bevölkerung Wiens gesorgt hatte, eröffnete dort 1795 ein vormaliger Patissier der Kaiserin Maria Theresia ein Restaurant. Zu dieser Zeit dirigierten Mozart und Beethoven ihre Werke in einem eigens dafür gebauten Saal in dem Gebäude. Das jetzige Café wurde erst 1891 gegründet, aber in weniger als zehn Jahren war Frauenhuber zu einer Institution geworden. Durch eine Reihe von Fenstern an der schmalen, kopfsteinbepflasterten Straße fiel angenehm natürliches Licht in die Gasträume.
    Das Café ist so etwas wie ein Zufluchtsort im Inneren Bezirk, dachte Werthen, und besitzt noch die ursprüngliche Wiener Gemütlichkeit. Beim Eintreten wurde er vom Duft eines frisch gebackenen Zwetschgenstrudels begrüßt. Die marmornen Tische, die roten Samtbänke und die Thonet-Stühle aus Bugholz passten perfekt zu der niederen Bogendecke und dem Holzparkett. Eine Sammlung kleiner Ölbilder – Landschaftenund Portraits – hing an den grob verputzten Wänden, ein Ständer mit viel gelesenen Zeitungen stand bei der Tür, und die Ober im schwarzen Smoking mit weißer Krawatte bewegten sich unaufdringlich zwischen den Tischen, die schwerbeladenen silbernen Tabletts in Schulterhöhe auf ihren Handflächen balancierend. Einer der Ober servierte Hanslick, der in einer hinteren Ecke, neben dem vor kurzem installierten Telefon, Platz genommen hatte, gerade einen Kaffee.
    Werthen erkannte diesen Ober sofort. Er hieß Herr Otto und war vormals Ober im
Café Landtmann
gewesen. Es war schon eine ganze Weile her, dass Werthen ihn zum

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