Wiener Requiem
die Unschuld Tors nachgewiesen, indem sie die handschriftlich abgefassten Dokumente Tors mit den Briefen des Mörders verglichen. Keines von Tors Schreiben zeigte die verräterischen Schmierspuren.
Auch diese Bemerkung wurde von Gross ignoriert. »Blauer benutzte übrigens auch die Reise Tors nach Altaussee«, fuhr er unerbittlich fort, »um seine eigenen teuflischen Unternehmungen zu tarnen. Als Tor zum ersten Mal die Villa besuchte, war Blauer selbst in der Nacht dorthin gefahren und hatte an den Bremsen des Rades, das der Komponist benutzen würde, herumgepfuscht. Später hat er Tor dazu überredet, das vergiftete Lokum unbemerkt in Mahlers Arbeitszimmer zu schmuggeln. Es wäre das Geschenk eines anonymen Bewunderers, hatte erdem gutgläubigen Mann erzählt. Und Tor hatte keinerlei Verbindung zwischen der plötzlichen Erkrankung Mahlers und den vergifteten Süßigkeiten hergestellt. Die Zeitungen haben darüber ebenfalls nichts berichtet.«
Der Kriminologe aß seinen letzten Bissen Kuchen, trank einen Schluck Kaffee und strahlte sie dann an.
»Blauer war wirklich unglaublich raffiniert, das muss ich zugeben. Er hatte Tor sogar angefleht, in Linz einen Zwischenstopp einzulegen, um dort einem erfundenen Freund eine angeblich unglaublich eilige Nachricht zu überbringen. Es war ein völlig sinnloses Unternehmen, aber dieser Zwischenstopp kostete Tor fast den ganzen Mittwoch und führte dazu, dass er erst am Donnerstag in Altaussee eintraf. Wenn das herauskam, so hatte Blauer spekuliert, würde man Tor verdächtigen, derjenige gewesen zu sein, der Werthen in seinem Büro niedergeschlagen hatte. Aber das Spiel war vorbei, nachdem Tor Blauer von der Unterhaltung zwischen dem Polizeikommissar und Ihnen, Werthen, berichtet hatte. Denn Tor las kurz darauf in der Zeitung einen Artikel über den gewaltsamen Tod von Fräulein Paulus, der jungen Frau, von der in besagter Besprechung die Rede gewesen war. Unklugerweise konfrontierte er Blauer damit, da sein Vertrauen und sein Glauben an ihn erschüttert worden waren. Natürlich folgerte Blauer sofort, dass er Tor zum Schweigen bringen musste. Zudem hatte der Mann seine Schuldigkeit längst getan. Es war ein Kinderspiel, ihm etwas mit Arsen präparierten Schnupftabak unterzuschieben – das einzige Laster Tors – und dann, nachdem er gelassen zugesehen hatte, wie dieser qualvoll starb, eine Schachtel mit vergiftetem Lokum am Tatort zurücklassen. Anschließend überließ er es uns, die ›richtigen‹ Schlüsse zu ziehen.«
»Wirklich ein unglücklicher Mann, dieser Herr Tor«, meinte Berthe mitfühlend.
»Und was ist mit den anderen losen Enden der Geschichte?«, fragte Herr Meisner. »Was ist zum Beispiel mit dem Alibi Blauers für den Tag, an dem das junge Fräulein Kaspar starb?«
Gross nickte. »Ja, die losen Enden. Seine Abwesenheit wurde durch die Unterlagen Leitners bestätigt. Tatsächlich war er jedoch dort, versteckt inmitten der Seile über der Bühne. Herr Gunther hat ihn jedoch von seinem Platz im Orchester aus gesehen und später versucht, ihn mit diesem Wissen zu erpressen. Mit tragischen Ausgang für Herrn Gunther, darf ich wohl hinzufügen. Der Geiger hätte lieber bei der Musik bleiben und die Verbrechen den Fachleuten überlassen sollen.«
»Und was ist mit dem Tod von Strauß und dem Unfall Zemlinskys, dieser ganzen Geschichte mit den Todesfällen der großen Musiker Wiens?«, wollte Herr Meisner wissen. »Diese beiden Vorfälle verliehen Blauers falscher Fährte doch erst die Glaubwürdigkeit.«
»Vielleicht werden wir nie etwas Genaueres über den Sturz Zemlinskys erfahren«, sagte Werthen. »Und ich zögere, den oft wiederholten Satz noch einmal auszusprechen, aber Unfälle kommen vor, vor allem auf der Bühne.«
Werthen unterbrach seine Rede gerade lang genug, um Gross die Möglichkeit zu geben, diese zu Ende zu führen. »Und was den Tod von Strauß und diese mysteriöse Einladung an die Hofburg angeht, die aus seiner schweren Erkältung eine Lungenentzündung machte … Na ja, ich habe ermitteln können, dass die zweite Frau von Strauß während dieser Zeit in Wien gewesen ist, um Freunde zu besuchen.«
»Ganz so wie Sie es vermutet hatten«, sagte Werthen und nickte. »Die zornige Ex-Frau als Schuldige?«
»Das darf doch nicht wahr sein«, rief Berthe aus. »Sie muss doch zur Rechenschaft gezogen werden.«
Sowohl Gross als auch Werthen wussten, dass es dazu nie kommen würde, denn jeder mögliche Beweis war längst von der Witwe
Weitere Kostenlose Bücher