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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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verwüstet vorgefunden.
    Confiteor Deo omnipotenti …
    So eine bigotte Person, ärgerte sich Rosa und blätterte zum Text weiter.
    Frauen und Männer sind weinend zwischen den zerfleischten Leibern ihrer Kinder, Schwestern, Brüder gekniet. Der alte Ritzberg ist mir bleich entgegengetaumelt. Als ich den Körper meines Mannes gesehen habe, habe ich geschrien und bin hingelaufen. Ritzberg ist mir hinterher und hat mich festgehalten. Ich konnte nur sehen, dass Konrad die linke Gesichtshälfte abgerissen worden war. Dann hat Ritzberg mich nach Hause gebracht und mir erzählt, dass um drei Uhr früh nur noch ein paar junge Leute am Festplatz waren, auch mein Mann und Fuhrenbacher. Ritzberg hat den ganzen Abend gedacht, dass die beiden Männer vielleicht meinetwegen zu streiten anfangen würden, doch sie haben sich gut verstanden. Fuhrenbacher hat ein Fass Bier von seinem Wagen gehoben und alle, die noch da waren, eingeladen, es mit ihm auszutrinken. Ritzberg konnte nichts mehr trinken, er war schon so voll, dass er Angst hatte, nicht mehr den Weg zu seinem Haus zu finden, doch die jungen Leute haben sich eifrig bedient. Fuhrenbacher hat aus einer Bierflasche, die er sich mitgebracht hatte, getrunken. Ritzberg ist das erst im Nachhinein aufgefallen. Er hat meinem Mann zugeprostet, der lallend zurückgeprostet hat.
    Ein Mitarbeiter trat an Rosa heran. Er musste sie zwei Mal ansprechen, bevor sie überhaupt reagierte. Er wollte wissen, ob sie nun mit dem Verpacken der Ikonen beginnen konnten. Rosa gab zerstreut Antwort und las dann weiter.
    Und dann ist das Entsetzliche geschehen: Die Gesichter der Leute haben sich zu verändern begonnen. Ein paar sind in die Knie gegangen und haben sich am Boden gewälzt, andere haben gesungen und getanzt. Das Treiben ist immer verrückter geworden. Plötzlich hat einer aufgeschrien. Ritzberg hat ein lachendes Gesicht mit einem blutverschmierten Mund gesehen, das sich am Hals eines Schreienden, den vier andere festgehalten haben, verbissen hatte. Aus der Halsschlagader des am Boden Liegenden ist das Blut herausgequollen. Drei Menschen haben sich grölend darüber hergemacht und es gierig getrunken.
    Da ist dem Ritzberg schlecht geworden. Er hat alles, was er im Magen hatte, erbrochen und dann versucht, zwischen die Leute zu gehen. Sie haben ihn von hinten niedergeschlagen, und als er wieder aufgewacht ist, ging bereits die Sonne auf.
    Ich hab am selben Tag meine zwei Mädchen zur Welt gebracht.
    Die Leute haben die Toten zu den stillgelegten Sandgruben getragen. Dort habe ich Blumen für meinen Mann abgelegt. Dann habe ich zwei Ikonen der Kirche geschenkt.
    Sub tuum praesidium confugimus, Sancta Dei Genetrix. Nostras deprecationes ne despicias in necessitatibus nostris, sed a periculis cunctis libera nos semper, Virgo gloriosa et benedicta, domina nostra …
    Rosas Ungeduld über das erneute Gebet wurde im Keim erstickt, als ihr klar wurde, was sie hier in den Händen hielt: den Anfang des ›Sub tuum praesidium‹. Sie wühlte nervös in ihrer Tasche und suchte in ihren Notizen die Kopie des Blattes, das sie im Brustkreuz gefunden hatten. Es passte als fehlende Seite an das Ende der Aufzeichnungen.
    … mediatrix nostra, advocata nostra, tuo filio nos reconcilia, tuo filio nos commenda, tuo filio nos repraesenta. Amen. Unsre Seelen sind verloren, zu Michaeli hat mit uns im Kahlenbergerdorf der Teufel getanzt. Anno Domini 1919.
    Rosa ließ die Blätter sinken. Sie starrte eine Weile auf das geschäftige Einpacken der Mitarbeiter. Dann stieg sie langsam, wie betäubt, die Stufen des Kellers hinauf. Im Gehen wählte sie Liebharts Nummer.
    Als Rosa zu Hause ankam, war sie so erschöpft, dass sie nicht einmal Hunger verspürte. Sie hatte lange mit Liebhart telefoniert und ihm von ihrem Fund erzählt, danach war sie wieder in die Kühle des Kellers im Krautgeschäft eingetaucht. Sie hatten über fünfzig Wertgegenstände gesichert, jedes Fass verschoben und jedes Glas mit eingelegtem Gemüse aus dem Regal genommen und durchleuchtet, da sie sichergehen wollten, dass sich auch nichts in den Gläsern befand. Aus den Fässern war das Kraut geschaufelt und die Regale von den Wänden geschoben worden. Rosa musste sich bei ihrer Arbeit sehr konzentrieren, immer wieder schweiften ihre Gedanken zu den schrecklichen Ereignissen vor fast neunzig Jahren zurück. Als sie schließlich verdreckt, durchfroren und nach Essig stinkend zurück auf den Hauptplatz trat, war es Mitternacht. Sie nahm ein langes

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