Wiener Schweigen
heißes Bad und tröpfelte Zitronenöl in das Badewasser, um den Essiggeruch loszuwerden.
Um halb zwei ging sie schlafen und erwachte um fünf Uhr, putzmunter und mit einem Bärenhunger. Nach einem deftigen Frühstück aus Eierspeis mit Speck, frischem Schnittlauch, Orangensaft, einem Fruchtsalat und einer großen Tasse heißen Kaffees rief sie Liebhart an. Er nahm sofort ab und berichtete ihr, er habe bis zehn Uhr am Abend Frau Tobler vernommen, dann seinen Bericht geschrieben, und jetzt sei er wieder auf dem Weg in sein Büro, um die Vernehmung fortzusetzen. Sie schilderte ihm kurz, was sie alles im Keller entdeckt hatte.
»Die Kunstgegenstände werden auf Fingerabdrücke und andere Spuren untersucht, dann kannst du mit deiner Arbeit beginnen. Ich schätze, das wird so in einer Woche sein.« Liebhart klang erschöpft, aber zufrieden.
»Kann ich bis dahin bei der Vernehmung dabei sein?«
»Willst du dich nicht ein paar Tage ausruhen? In Wien schmilzt der Asphalt, so heiß ist es.«
»Ich glaube nicht, dass ich das schaffe. Bin viel zu aufgeregt, wenn ich an die Untersuchung des Schatzes denke. Ich habe so etwas wie in diesem Keller noch nie gesehen und mich wie Howard Carter bei der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun gefühlt. Aber es gibt noch so viele Fragen, die uns nur Frau Tobler beantworten kann.«
»Na gut, Howard, dann sehen wir einander bei mir im Büro.«
21
Als Rosa Liebhart gegenübersaß, erzählte er ihr, dass die erste Einvernahme stockend verlaufen war und keinerlei Ergebnisse gebracht hatte. Die Ladenbesitzerin hatte sich als vollkommen resistent gegen harsch gestellte Fragen und die für die meisten Tatverdächtigen einschüchternde Anwesenheit der Polizei erwiesen. Zwei uniformierte Beamte hatten versucht, ihre Personalien aufzunehmen, bevor Liebhart mit der eigentlichen Vernehmung begonnen hatte. Doch Frau Tobler hatte eisern geschwiegen. Nach zwei Stunden hatten die Beamten entnervt aufgegeben.
»Und? Jetzt redet sie immer noch nicht?«, fragte Rosa und nippte an einer Tasse Kaffee.
»Es scheint sie nicht zu kümmern, was mit ihr passiert, nun, da ihr Schatz nicht mehr in ihren Händen ist. Aber«, fügte er augenzwinkernd hinzu, »ich habe sie gestern Abend nach dem Rezept ihres exzellenten eingelegten Krauts gefragt.«
Rosa hob erstaunt die Augenbrauen.
»Sie hat zögernd geantwortet. Ich habe ihr Zeit gelassen und ihr bis zum letzten Gefüllte-Paprika-Rezept aufmerksam zugehört. Danach habe ich mich verabschiedet und ihr mitgeteilt, dass sie erst einmal schlafen soll. Ich würde am nächsten Tag wieder mit ihr reden.«
Frau Tobler saß hinter einem Resopaltisch im Vernehmungsraum. Ihr grobes Gesicht war so ausdruckslos und massig wie immer. Liebharts Interesse an ihren Rezepten hatte offensichtlich das Eis zwischen ihnen gebrochen. Sie erzählte stockend und räusperte sich oft. Man merkte, dass sie es nicht gewohnt war, lange zu sprechen.
Rosa hatte in einem kleinen Zimmer neben dem Vernehmungsraum Platz genommen und verfolgte das Verhör auf einem Bildschirm. Besorgt stellte sie fest, dass ihr Mobiltelefon hier keinen Empfang hatte und Mühlböck sie nicht erreichen konnte.
Liebhart wollte von Frau Tobler wissen, wie sie an den Kirchenschatz gekommen war.
»Das is a lange Gschicht«, meinte sie.
»Wir haben Zeit.« Er lehnte sich zurück und schwieg.
Die Ladenbesitzerin begann langsam zu erzählen. »I bin a Bastard. Meine Mutter, Agnes Tobler, hat mich vor über fünfzig Jahren in die Welt geworfen.«
Das war ihre Formulierung: »geworfen«. Rosa konnte damit zuerst nichts anfangen. Am Ende des Verhörs kam sie zu dem Schluss, dass das wohl doch der beste Ausdruck für Frau Toblers Geburt gewesen war. Denn viel mehr hatte die Mutter für ihre Tochter in einem Dorf, in dem uneheliche Kinder zu dieser Zeit die größte Schande waren, wirklich nicht getan.
»Der Pfarrer wollt mich nicht taufen, die Leut im Dorf ham uns gschnitten.« Frau Tobler wischte sich mit der Hand über ihr Gesicht, bevor sie fortfuhr. »Mei Mutter hat den Fuhrenbacher gheirat, wie ich fünf Jahr alt war. Der hat mit seiner kaputten Hüften jemand braucht, der ihm in seinem Gschäft hilft. Dem Fuhrenbacher hat außer dem Laden und dem Haus nix ghört. Das Gschäft is nicht gut gangen. Mei Mutter hat immer gsagt, es is meine Schuld, weil ich ja ein Bastard bin.«
Frau Tobler erzählte, dass ihrer Mutter und ihr der Zutritt zu den Kellern in Fuhrenbachers Haus strengstens verboten gewesen war.
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