Wigges Tauschrausch
ein Jugendgefängnis. Den Leiter konnte ich vor Reisebeginn davon überzeugen, mich vorbeischauen zu lassen. Ein Gefängnis ist schließlich ein Ort, an dem niemand über eigene Geldmittel verfügt, was liegt also näher, als zu tauschen. Außerdem bin ich neugierig, wie der Austausch zwischen Inhaftierten und Vollzugsbeamten vonstattengeht. Gibt es da Freundschaften? Feindschaften?
In meiner Fantasie tauchen unwillkürlich auch Bilder von Gefangenen auf, die per Tausch an verbotene Dinge kommen wie Drogen oder Ausbruchswerkzeuge, die von Angehörigen oder Freunden ins Gefängnis geschmuggelt wurden. Was ist dran an diesen Fantasien?
Der Knast begrüßt mich mit hohen Backsteinmauern und Stacheldraht. Als ich auf die Eingangsschleuse zugehe und sehe, wie dort die Besucher kontrolliert werden, komme ich mir vor wie in einer Filmszene. Erneut geht mir dieses Klischee von der Nagelfeile im mitgebrachten Kuchen durch den Kopf, und sofort muss ich an den Verbandskasten denken, in dem sich sicherlich auch eine Schere befindet. War mein letzter Tausch vielleicht doch nicht so geschickt? Werde ich mich und die Inhaftierten in Schwierigkeiten bringen? Ein wenig schuldbewusst betrete ich die Eingangsschleuse. Ich gebe meinen Personalausweis beim Wachpersonal ab und zeige dem Vollzugsbeamten grinsend den Verbandskasten. Als ich sage »Das ist das Tauschobjekt, um das es geht«, schaut er etwas überrascht hinter seiner schusssicheren Scheibe her, winkt mich dann aber mit einem Stirnrunzeln durch. Jetzt bin ich also drin im Knast, mit Verbandskasten inklusive Schere. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, bleibt.
Ich bin froh, als ich schließlich beim zuständigen Vollzugsbeamten eintreffe, der sich bereit erklärt hat, mit mir über das Thema »Tauschkultur im Gefängnis« zu sprechen. Wir gehen über einen immer wieder durch Gittertüren unterteilten Flur der JVA . Der Vollzugsbeamte erzählt mir, dass Tauschen für die Inhaftierten tatsächlich zum Alltag gehöre, nur so könnten sie an manche begehrten Dinge kommen, die sie sich nicht einfach kaufen könnten. Die Anstaltsleitung toleriere das, wenn die getauschte Ware einen gewissen Wert nicht überschreite, dagegen würden illegale Tauschgeschäfte, wie der Erwerb von Drogen oder größeren Gegenständen wie Elektrogeräten, streng unterbunden.
Später treffe ich mehrere inhaftierte Jugendliche, die fast alle wegen Gewaltverbrechen verurteilt sind. Serkan, der zwei Jahre in der Jugendabteilung abzusitzen hat, lädt mich in seine Zelle ein, die geschätzte acht und gefühlte zwei Quadratmeter groß ist, auf denen sich eine Toilette, ein Bett und ein Fernseher befinden. Durch ein kleines Gitterfenster lässt sich ein Stück Himmel erahnen. Serkan erzählt mir, dass die Zeit im Knast natürlich nicht leicht sei, aber gewisse Annehmlichkeiten wie der Fernseher, die Arbeit als Monteur und der freundschaftliche Austausch mit seinen Mitgefangenen würden das Ganzeerträglicher machen. Er berichtet, wie sein Zellennachbar David zu seinem besten Freund geworden ist. Da die Zellentüren täglich von halb vier bis halb neun abends geöffnet seien, könnten sie so miteinander abhängen. Serkan stellt mir Frank vor. Er ist um die zwanzig und ebenfalls wegen eines Gewaltdeliktes verurteilt. Frank zeigt mir die Schreinerei, wo er täglich arbeitet, und redet davon, wie schlimm die ersten Wochen in der Haft gewesen seien, wie seine Freundin ihn verlassen habe. Aber er erzählt auch, wie der gute Kontakt zu den Beamten der JVA ihm über die schwierigste Zeit im Knast hinweggeholfen habe. Ich bin überrascht zu hören, dass das Verhältnis zwischen Wärter und Gefangenen so vertrauensvoll sein soll. Ich frage nach, ob denn da nicht auch viel Misstrauen und Angst im Spiel seien, aber Frank bestätigt seine Aussage und erzählt von langen Gesprächen, geduldigem Zuhören, Aufmunterungen, Ermutigungen und vielen Hilfsangeboten. Ich bin beeindruckt, schaue aber auch zu den beiden Vollzugsbeamten im Raum hinüber, die mit verschränkten Armen dastehen und zufrieden nicken. Hat Frank vielleicht soeben versucht, Pluspunkte bei den Wärtern zu sammeln? Ich hätte mich jedenfalls gefreut, wenn dieses Gespräch unter vier Augen hätte stattfinden können.
Ich mache mit Frank und Serkan einen kleinen Spaziergang über den Gefängnishof und fühle mich ein wenig unwohl, da ich nicht wirklich zu dieser Welt gehöre, in der die Inhaftierten tagtäglich ihre schwierige Realität meistern müssen. Aber
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