Wikinger der Liebe
Stelle ein Geschöpf aus Sonnenlicht und Meeresschaum, sicher nicht menschlich, oder doch, falls das heftige Erröten bei seinem Anblick darauf hinwies.
Langsam schloss sie das Buch - sehr sorgfältig, wie er feststellte - und erhob sich, als würde sie ihm lieber stehend begegnen. Sie versuchte zu lächeln, was kläglich misslang. »Mylord ...«
Die Stimme klang unverändert, sanft und kehlig. Während er die junge Frau etwas genauer betrachtete, merkte er, dass auch die äußere Erscheinung fast gleich geblieben war. Die Augen schimmerten immer noch in jenem einzigartigen Grün, das er nie zuvor gesehen hatte. Auf der Nase sah er die gewohnten Sommersprossen. Das beruhigte ihn. Sonst hätte er seine Braut wohl kaum wiedererkannt.
Schön fand er sie noch immer nicht, gemessen an seiner Schwester, die man für die schönste Frau in der christlichen Welt hielt. Aber die mangelnde klassische Schönheit ersetzte diese Lady durch ein gewisses Etwas, eine ganz besondere Ausstrahlung. Hawk starrte sie an, ertappte sich dabei und bemühte sich erfolglos wegzuschauen. Warum sollte er auch? Schließlich war sie seine Braut und seine Neugier verständlich.
»Was machst du hier?«
Sein schroffer Ton verwirrte Krysta. Und wie bedrohlich er aussah, hoch aufgerichtet, die Stirn gerunzelt. Irgendwie schien er die Außenwelt hereinzubringen, den Raum mit der Macht des Windes, des Meeres und der Erde zu füllen. Obwohl sie sich nicht fürchtete - kein bisschen -, wich sie einen Schritt zurück. Natürlich war das absurd, weil es keinen Fluchtweg gab. Sie wies auf das Buch. »Damit bin ich ganz behutsam umgegangen.«
Als er der Richtung ihres Blicks folgte, vertieften sich seine Stirnfalten. »Hast du gelesen?« Das war keine unsinnige Frage, denn viele Menschen begnügten sich damit, die kunstvollen Bilder und Schriftzeichen auf dem edlen Pergament solcher Werke zu bewundern, ohne die Worte zu verstehen.
Krysta nickte. Beklommen suchte sie in seinen Augen nach einer Missbilligung, entdeckte aber nichts dergleichen und atmete auf. Er wirkte nur überrascht.
»Welch eine erstaunliche Fähigkeit...« Mit der Erkenntnis, dass seine künftige Gemahlin lesen konnte und seine Freude an Büchern offenbar teilte, würde er sich später befassen. Jetzt wollte er feststellen, welche verborgenen Talente sie sonst noch besaß. »Was hältst du von dem Buch?«
»Nun, ich finde es sehr schön, aber bedrückend. Wer ist dieser-Boethius?«
»Ein Römer, der vor vielen Jahrhunderten lebte. Er liebte die Musik und die Mathematik. Seinen größten Trost fand er jedoch, wie dieses Buch besagt, in der Philosophie.« Gedankenverloren starrte Hawk den Ledereinband an. »Das schrieb er im Gefängnis, kurz vor seiner unverdienten Hinrichtung. Wenn ihn die Arbeit getröstet hat - umso besser.«
»So alt kann das Buch nicht sein«, meinte Krysta verblüfft. »Das Pergament fühlt sich neu an. Und einige Kommentare stammen aus unserer Zeit. Wie ist das möglich?«
»Die Kommentare hat Alfred verfasst, übrigens auch die Übersetzung. Er schätzt Boethius sehr, wenn er auch nicht in allen Punkten mit ihm übereinstimmt. Unserem König verdanken wir aufschlussreiche Kopien von diesem Buch und anderen. Allen Menschen, die lesen gelernt haben, stehen sie zur Verfügung, oder denen, die sich daraus vorlesen lassen und klug genug sind, um den Inhalt zu würdigen.«
»Also ist Euer König nicht nur ein Krieger, sondern auch ein Gelehrter. Jetzt verstehe ich besser, warum Ihr ihm dient.«
»Das ist meine Pflicht.«
»Nur die Pflicht bewirkt Eure Loyalität?«, fragte sie leise. Sie wusste, dass sie in seine Privatsphäre eindrang. Doch sie musste es wagen, denn sie wollte sich ein Urteil über den Mann bilden, der ihr Schicksal entscheiden würde. »Inspiriert Euch nichts anderes?«
Es dauerte eine Weile, bis Hawk ihr eine wohl überlegte Antwort gab. »Vor der Treue steht das Vertrauen - das unabdingbar ist.«
Aus ihren Wangen wich alle Farbe. Diese Anspielung verstand sie nur zu gut. Wie sollte er ihr vertrauen? »Erlaubt mir zu erklären...«
»Kannst du das?« Hawk lehnte sich an die Wand neben dem Fenster, die Arme vor der breiten Brust verschränkt, und erweckte den Eindruck, er wäre nur mäßig interessiert. Aber sie ließ sich nicht täuschen. Inzwischen kannte sie ihn gut genug und wusste, welch tiefe Gefühle sich hinter seiner gleichmütigen Fassade verbargen. »Darf ich raten? Du hast dich verkleidet, weil du fürchten musstest, die Dänen
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