Wikinger der Liebe
Probleme empfand, wollte er seiner Herrin helfen und zeigte auf die Truhe. »Raven hat gesagt, Ihr sollt das Kleid anziehen, das obenauf liegt.«
Nachdem er den Raum verlassen hatte, kniete Krysta neben der Truhe nieder und öffnete sie. Vor ihr lag ein Kleid, das sie nie zuvor gesehen hatte. Der Stoff glich dem Schaum auf Wellenkronen, er war so hauchzart, dass sie glaubte, die sanfteste Brise könnte ihn davonwehen. Trotzdem fühlte sich das Kleid seltsam schwer an, als sie es vorsichtig hochhob. Verblüfft runzelte sie die Stirn, als sie die zahllosen, winzigen aufgestickten Kristalle entdeckte. Einerseits fragil, andererseits substanziell, machte ihr das Gewand Mut. Sie stand auf und zog es über den Kopf, und es schmiegte sich an ihren Körper, wie für sie geschneidert. Aber es war für eine andere Frau bestimmt gewesen. Das wusste sie. Für die Mutter, die sie nie gekannt hatte...
In Hawks Gemach gab es nur einen einzigen Spiegel neben dem Waschtisch, auf dem ein scharf geschliffenes Rasiermesser lag. Ihr Bild in der polierten Bronze zeigte tränennasse Augen und zerzaustes Haar. Von der Farbe befreit, begann es sich zu dichten, widerspenstigen Locken zu kräuseln. Einen Teil konnte Krysta mit einem passenden Band aus der Stirn halten, den Rest ließ sie auf die Schultern fallen.
Gewissenhaft brachte sie das Zimmer in Ordnung. Um den gefürchteten Moment hinauszuzögern, in dem sie die verhältnismäßige Sicherheit dieses Raumes verlassen musste, sah sie sich um. Ihr Blick glitt zum Fenstertisch hinüber. Was darauf lag, fesselte sofort ihre Aufmerksamkeit.
Ein Buch.
In ihrem Leben hatte sie vielleicht ein halbes Dutzend Bücher gesehen und drei besessen, die sie der Großzügigkeit ihres verstorbenen Vaters verdankte. Wie sie sich entsann, hatte Raven erzählt, Hawk könnte lesen. Aber es überraschte Krysta, ein so kostbares Buch zu entdecken, sie ging darauf zu. Eine Zeit lang betrachtete sie einfach nur den reich verzierten Ledereinband - dann war die Versuchung unwiderstehlich. Behutsam öffnete sie das Buch. Ohne dass es ihr richtig bewusst wurde, setzte sie sich auf den Stuhl neben dem Tisch und begann zu lesen.
Hawks Zorn verflog erstaunlich schnell. Eine knappe Stunde, nachdem er das Turmzimmer verlassen hatte, war seine Wut nur mehr eine Erinnerung. Der Wind wehte die düstere Stimmung so erfolgreich davon, wie er das Segel des Kutters blähte, der jenseits des Hafens über die Wellen tanzte. In einer Kurve aus goldenem Strand und weißen Klippen sah er Hawkforte liegen - ein Anblick, der ihn stets erfreute, wenn er von kürzeren oder längeren Seereisen zurückkehrte. Dies war sein Heim, seine Zuflucht, sein Sieg über eine grausame, lieblose Welt. Und jetzt gewann die geliebte Festung eine neue Bedeutung. In ihren Mauern befand sich die Frau, die zwei Völkern den ersehnten Frieden bringen sollte, die seine Hoffnung auf ein Glück geweckt hatte, wie es seine Schwester mit ihrem Ehemann teilte, und die so dreist gewesen war, ihn zu hintergehen.
Das war ihr nur kurzfristig gelungen. Das tröstete seinen Stolz. Aber er fragte sich, wie lange sie die Maskerade fortgesetzt hätte, wäre sie nicht entlarvt worden. Und was hatte sie damit bezweckt? Warum riskierte sie seinen Zorn?
Dafür musste es einen Grund geben, den er bald erfahren würde. Er hatte seine Braut endlich kennen gelernt, was ihm allerdings wenig nützte, denn sie erschien ihm noch mysteriöser als das Fatansiebild seiner abwesenden Verlobten.
Seine Behauptung, er würde sie nicht begehren, war eine Lüge gewesen. Aber jeder halbwegs vernünftige Mann behielt gewisse Dinge für sich. Welche Macht sie auf ihn ausübte, durfte sie nicht merken. Nie zuvor hatte eine Frau so heiße Gefühle in ihm entfacht. Bei diesem Gedanken dachte er an ihre Anklage, beinahe hätte er sie mit ihr selbst betrogen. Und dann entsann er sich, wie sie klatschnass aus der Wanne gestiegen war, mit schwarzer Farbe beschmutzt, ein wildes Feuer in den Augen. Sekundenlang musste er lachen. Doch die Belustigung erstarb sofort, wurde von der Erinnerung an ihren Blick verdrängt, während er sich angekleidet hatte. Nicht nur er schien süße Gefühle zu empfinden.
Lächelnd kniff er die Augen zusammen, um sie vor den grellen Sonnenstrahlen zu schützen, die das Wasser widerspiegelte. Dann steuerte er das Boot in den Wind und segelte die Küste entlang. Seit seiner frühen Kindheit liebte er das Meer. Nur hier draußen, mit Wasser und Luft vereint, fühlte
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