Wikinger der Liebe
der Öffentlichkeit konnte er solche Andeutungen nicht dulden. »Was ich damit ausdrücken möchte...«
»Das wissen wir alle«, unterbrach er sie. Zu ihrer Überraschung lächelte er. Dann neigte er sich zu ihr und flüsterte in ihr Ohr: »Eine Frau muss sehr zuversichtlich sein, so viel zu wagen. Fühlst du dich dem Kampf gewachsen, den du anzettelst?«
Dunkle Röte stieg ihr in die Wangen, und Hawk musterte sie voller Genugtuung. Natürlich war sie ihrer Sache nicht sicher, denn sie hatte keine Erfahrungen mit Männern gesammelt und konnte ihre Fähigkeiten in heiklen Situationen nicht beurteilen. Doch das würde sie niemals zugeben. Gelassen zuckte sie die Achseln. »Ich glaube, das hängt von dir ab...«
Fasziniert beobachtete sie die Glut der Leidenschaft, die in seinen Augen aufflammte. Er erhob sich halb von seinem Stuhl, als wollte er sie sofort, vor aller Augen, in sein Schlafzimmer zerren. Doch da ergriff Dragon wieder das Wort. »Dieses Gerede von ehelichen Schwierigkeiten erinnert mich an eine andere Geschichte. Die erzählte mir ein Ire, den ich in Byzanz traf. Er schwor, es handle sich um eine wahre Begebenheit, und er behauptete sogar, den armen Burschen zu kennen, dem dies alles widerfahren sei.«
Eines Tages fuhr der mächtige Herr eines irischen Clans in seinem Coracle - einem Boot aus mit Häuten überzogenem Weidengeflecht - aufs Meer hinaus. Allein und ungestört, fern vom Leben und Treiben in seinem Schloss, wollte er über ein Problem nachdenken. Er musste heiraten, konnte sich aber für keine junge Frau entscheiden. Da gab es so viele. Manchmal fühlte er sich zu dieser hingezogen, dann zu jener. Doch er kannte seine Pflicht. Und während er über die Bucht vor seinem Familiensitz ruderte, überlegte er, wie er vorgehen sollte. Vor seinem geistigen Auge erschien die Tochter eines benachbarten Clan-Häuptlings. Und plötzlich sah er eine seltsame Gestalt durch die Wellen herangleiten. Verwirrt richtete er sich in seinem Coracle auf, warf zielsicher sein Fischernetz ins Wasser und fing das Geschöpf ein, obwohl es zu fliehen suchte.
Als er seine Beute ins Boot zog, erblickte er zu seiner Verblüffung eine bildschöne junge Frau. Nur ihr ebenholzschwarzes Haar bedeckte ihre milchweiße Haut, und erfand sie so begehrenswert wie keine der anderen, die er je gesehen hatte. Spontan beschloss er, sie zu heiraten. Er führte sie in sein Schloss und stellte sie seinem Clan vor. Obwohl seine Verwandten staunten, erhoben sie keine Einwände. Und so vermählte ersieh mit seiner Meerjungfrau. Bald schenkte sie ihm starke, gesunde Söhne und Töchter. Alles schien in bester Ordnung, außer einer seltsamen Angewohnheit des Festungsherrn. Regelmäßig, im Abstand weniger Tage, suchte er einen Ort auf, den niemand außer ihm kannte. Dort blieb er nur kurze Zeit, und jedes Mal, bevor er das Schloss verließ, befahl er seinen Wachtposten, seine Gemahlin in ihrem Zimmer einzusperren, damit sie ihm nicht folgen konnte. So verstrichen einige Jahre, bis sie schließlich ihrer ältesten Tochter auftrug, dem Vater zu jenem geheimen Ort nachzuschleichen.
Die Tochter gehorchte und erzählte der Mutter bei der Rückkehr, er würde in eine kleine Höhle gehen, nicht weit vom Familiensitz entfernt, und sie habe nicht gewagt, ihm hineinzufolgen. Doch das störte die Mutter nicht. Sie dankte dem Mädchen, küsste es zärtlich und beteuerte, sie würde es innig lieben, ebenso die anderen Kinder.
Am nächsten Morgen verschwand sie und wurde nie mehr gesehen. Nur das Kleid, das sie getragen hatte, fand man vor der Höhle, die ihr Ehemann seit Jahren besuchte. Während die Kinder um sie weinten, gestand der Vater die Wahrheit. Im Netz, mit dem seine Braut gefangen worden sei, habe er noch etwas anderes entdeckt - die Haut einer Robbe. Was das bedeutete, hatte er sofort gewusst und erkannt, nämlich dass die schöne Maid ein Skelkie war, ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Robbe. Nur wenn sie die Robbenhaut nicht zurückgewann, würde sie bei ihm verweilen. Er versteckte die Haut in der Höhle und befeuchtete sie alle paar Tage, denn sie musste in gutem Zustand bleiben. Sonst würde seine Frau sterben. Da er sie nicht verlieren wollte, hielt er das Versteck der Robbenhaut geheim. Wenn ein Skelkie seine Haut wiederfand, musste es ins Meer heimkehren. Das hatte seine Gemahlin letzten Endes getan. Bis zu seinem Lebensende ging er täglich ans Meer, hielt nach ihr Ausschau und hoffte, sie würde zu ihm zurückkommen.
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