Wikinger meiner Traeume - Roman
seine angelsächsische Gemahlin sicher für einen Faulpelz, weil sie immer noch im Bett
lag, während anständige Männer und Frauen längst arbeiten würden.
Nicht, dass sie wüsste, was sie unternehmen könnte, wäre sie zeitiger erwacht. Nun, dieses Problem würde sie lösen, sobald sie den Schlaf aus ihren Augen gerieben hatte und sich imstande fühlte, den Tag zu meistern – wenn auch etwas verspätet.
Der Krug auf dem Fenstertisch enthielt kühles Wasser. Natürlich, nachdem er seit Stunden da stand... Als sie sich wusch, nahm sie ihr Frösteln kaum wahr. Den Luxus heißen Wassers hatte sie erst vor kurzem kennen gelernt. Ihr Magen knurrte. Hastig nahm sie ein paar Kleidungsstücke aus einer Truhe und zog sich an. Ihre Garderobe, aus Hawkforte mitgebracht, war viel heikler und schwieriger zu handhaben als die raue Wolle, die sie früher getragen hatte. Doch sie kam damit zurecht, obwohl sie sich ziemlich ungeschickt anstellte. Würde sie sich jemals daran gewöhnen, in Kleider zu schlüpfen, die einer Märchenprinzessin würdig waren? Vielleicht irgendwann in ferner Zukunft – vorerst wollte sie ihre Zeit nicht mit solch müßigen Gedanken vergeuden.
Entschlossen trat sie in den hellen Tag hinaus. Vom Meer wehte eine frische Brise heran, die nach Salz roch und sich mit dem Duft umgegrabener Erde mischte. Sonnenschein beleuchtete die Berge im Westen, wo sie Schafherden weiden sah. Auf den Feldern nahe der Festung schwankte goldgelbes Getreide im Wind.
Fischerboote fuhren zum Hafen, in dem mächtige Handelsschiffe ankerten. Von Frieden und Sicherheit umgeben, spürte Rycca, wie ihre innere Anspannung nachließ, die ihr erst jetzt bewusst wurde. Da sie daran gewöhnt war, auf jeden ihrer Schritte zu achten und ständig über die Schulter zu schauen, bemerkte sie ihr eigenes Unbehagen nur selten. Hier war alles neu – und ganz anders. Die alten Gefühle passten nicht nach Landsende.
Wohin sollte ihr erster Weg führen? In die Küche, entschied sie. Das Nebengebäude lag nicht weit von der Haupthalle entfernt. Vor dem Eingang standen mehrere eiserne Dreifüße über lodernden Flammen, neben einem Backofen. Einige Frauen bereiteten eine Mahlzeit vor.
Während Rycca zögernd zu ihnen ging, erregte sie die Aufmerksamkeit einer älteren Frau mit einem Kopftuch über dem grauen Haar. Hastig sprach sie mit ihren Gefährtinnen, dann eilte sie der Herrin entgegen, um sie zu begrüßen. »Mylady, ich bin Magda Kirstendotter. Wenn Ihr die Küche besichtigen wollt – darf ich Euch alles zeigen? Hier führe ich seit Jahren die Aufsicht, und wenn ich Euch helfen kann, bin ich gern dazu bereit.« Bei diesen Worten nahm sie einen Schlüsselbund von ihrem Ledergürtel und überreichte ihn Rycca. »Sicher werdet Ihr alles in bester Ordnung finden, Mylady Landsende ist eine reiche Stadt, und es mangelt uns wahrlich an nichts.«
Unsicher starrte Rycca die Schlüssel an, deren Bedeutung sie sehr gut verstand. Die Gemahlin des Festungsherrn hatte das Recht, das gesamte Eigentum des Haushalts zu verwalten – Essensvorräte, Getränke, Kleider und dergleichen. Das alles sollte sie verteilen, so wie sie es für richtig hielt. Dieser Verantwortung fühlte sie sich nicht gewachsen. Aber sie musste den Schlüsselbund wohl oder übel entgegennehmen. Als er an ihrem eigenen Gürtel hing, lächelte Magda zufrieden.
»So lange haben wir auf Lord Dragons Heirat gewartet, Mylady, und wir alle freuen uns über Eure Ankunft.«
»Das will ich hoffen«, erwiderte Rycca. Das heitere Gesicht der Frau verriet aufrichtige Zuneigung. »Am Kai gewann ich gestern den Eindruck, die Leute wären sich ihrer Gefühle nicht sicher.«
Dieses freimütige Geständnis schien Magda zu verwirren. Aber sie erholte sich sofort von ihrer Verwunderung und
lachte. »Oh, sobald sie Euch auf Grani sahen, überwanden sie ihre anfänglichen Bedenken. Unvorstellbar – eine Frau, die diesen wilden Hengst bändigt! Gestern Abend sprachen die Männer kaum von anderen Dingen, und schließlich redeten sie sich ein, Lord Dragon habe dem Pferd befohlen, Euch nicht abzuwerfen.«
Da lachte auch Rycca, und sämtliche Frauen stimmten ein. Magda stellte ihr alle vor. Schwatzend nahmen sie die Herrin in ihre Mitte und geleiteten sie zur Küche. Das Selbstvertrauen und der Frohsinn der kleinen Schar fiel ihr ebenso auf wie Tags zuvor die vielen Spuren weiblichen Schönheitssinns in den Straßen der Stadt. Vor ihren Besuch in Hawkforte hatte sie keine Frauen gekannt, die sich
Weitere Kostenlose Bücher