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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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konnte das sein? Ich stellte mir wilde Tiere mit riesigen Reißzähnen vor, und bei jedem Knacken, jedem Rascheln fuhr ich zusammen.
    »Schläfst du schon?«, flüsterte Orion, der dicht neben mir lag. Kurz durchzuckte mich der Gedanke, dass es unter seiner Plane wärmer sein würde, doch wenn er nicht vorschlug, dass wir uns eine teilten, würde ich es erst recht nicht tun. Auf keinen Fall wollte ich ein Missverständnis riskieren. Ich wandte mich ihm zu und rückte etwas näher heran, sodass unsere Nasen fast aneinanderstießen.
    Eine Weile schwiegen wir beide, ich hörte nur Orion atmen und fühlte die warme Luft auf meinem Gesicht.
    »Hast du es auch gemerkt?«, fragte er leise. »Fünf.«
    »Ja«, sagte ich. »Komisch, nicht? Wer es wohl war?«
    Also war es ihm auch aufgefallen. Fünf Wellen, hatte Rightgood gesagt. An jeder Schule. Fünf. Unsere Verfolger hatten bestimmt geglaubt, sie wären hinter den fünf Schülern her, bei denen die Glücksdosis versagt hatte, doch Moon hatte anfangs gar nicht dazugehört. Das hieß, dass noch jemand betroffen war, jemand, den wir nicht gefunden hatten, der sich unauffällig verhalten hatte. Ob sie wohl nach diesem Schüler fahnden würden, wenn Moon ihnen alles erzählt hatte, was sie wusste?
    Ich konnte mir nicht vorstellen, einzuschlafen, doch schließlich siegte die Müdigkeit, mein Körper, der diese Anstrengung nicht gewohnt war, schaltete kurzerhand den nervösen Geist ab, und ich fiel in tiefen, traumgetränkten Schlaf, in einen Schlaf voller Albträume.
    »Renn, Pi!«, schrie Lucky, aber ich kam nicht vom Fleck. Ich wusste nicht, ob ich nach vorne rennen sollte, durchs Tor, oder zurück zu ihm, und so ruderte ich bloß mit den Armen. Da packte er meine Hand und riss mich zu sich, und Orion zog von der anderen Seite, und schließlich war der Schmerz so groß, dass ich meine Arme zurückließ und nach oben sprang und wie eine Wolke davonschwebte. »In den Glücksstrom«, sagte Dr. Händel, oder war es Gandhi? »Komm in den Glücksstrom.«
    Helm weckte uns, als die Luft noch weich und kühl war. Ein Streif Dämmerung überzog den Horizont. »Weiter geht’s«, flüsterte er.
    Mir tat alles weh, als ich mich mühsam aufrappelte. Um Orion stand es dagegen richtig schlimm. Er stieß einen unterdrückten Schrei aus, als er seinen Fuß belastete.
    Auf Helms Frage schüttelte er jedoch den Kopf. »Es ist nichts.«
    Jakob gab sich damit nicht zufrieden. »Zeig her. Wir müssen den ganzen Tag laufen, wenn wir die nächste Nacht im Lager verbringen wollen.«
    Orions Fuß war mittlerweile bläulich verfärbt.
    »Wie ist das passiert?«
    »Ich bin umgeknickt, nichts weiter. Wenn ich ihn geschont hätte, wäre es längst verheilt, aber dazu war bis jetzt keine Gelegenheit.«
    Helm drängte auf Aufbruch, aber Jakob nahm die Sache ernst. Er sammelte Blätter, zerkaute sie und zerrieb dann die eklige grüne Masse, von der ein aromatischer Duft aufstieg, in seinen Händen. Das Zeug schmierte er auf die entzündete Stelle, bevor er den Knöchel mit einem Tuch fest umwickelte. Was auch immer Orion über die widerlichen Blätter an seiner Haut dachte, er ließ es sich nicht anmerken. In seinen Schuh kam er nur mit Müh und Not hinein, schließen ließ er sich nicht. Dennoch tat er, als würde es gar nicht mehr wehtun. »Danke.« Sein Lächeln wirkte nicht einmal gequält.
    Jakob dagegen blickte ziemlich grimmig drein. »Wir können es uns nicht leisten, dass du unterwegs schlapp machst. Soldaten sind auf Schmerzunempfindlichkeit gezüchtet, doch wenn du deine Verletzungen nicht ernst nimmst, wird sich das irgendwann rächen.«
    »Soldaten?«, fragte ich. »Er ist Sportler! Und was soll das heißen, gezüchtet?«
    Ich fand seine Äußerungen unverschämt, doch Jakob ließ sich auf keine Diskussion ein. Er wechselte einen Blick mit Helm. »Darüber sprechen wir ein andermal. Gehen wir.«
    Also gingen wir. Zu Anfang dachte ich, dass ich dieses Marschtempo nie im Leben durchhalten würde, doch ich wollte mir nicht die Blöße geben, vor den anderen Schwäche zu zeigen. Unsere beiden Führer schienen uns sowieso zu verachten. Hin und wieder berieten sie sich leise und schlugen eine andere Richtung ein, sodass wir im Zickzack mehr schlecht als recht vorwärtskamen.
    Wir machten zwei Mal eine kurze Pause, in der wir essen, uns in die Büsche schlagen oder einfach die Beine ausruhen konnten. Ich gab Orion mein Brot ab, weil ich den Eindruck hatte, dass ihm die mickrige Portion nicht ausreichte.

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