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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Doktor Händels Krankenzimmer in der Schule. Eine schmale Liege, statt Schränken mit vielen Schubladen standen etliche Kisten und Körbe fein säuberlich aufgereiht an der Wand, außerdem gab es ein paar beeindruckende Apparate mit unbekanntem Zweck.
    Sogar der Geruch war ähnlich.
    »Ich bin Doktor Mackintosh. Ja, setz dich hier auf die Liege. Du kannst mich Alfred nennen.« Er klang nett. Keine Bemerkung darüber, wie schlecht wir rochen, kein Naserümpfen über unsere schlammige Kleidung. Wahrscheinlich war er das gewohnt.
    »Ich heiße Orion. Das Problem ist mein Fuß hier.« Er zog das Hosenbein hoch. »Und im Übrigen bin ich kein Soldat. Es gibt gar keine Soldaten in Neustadt, höchstens Wächter. Ich spiele bloß Joy.«
    Mit einem sanften Lächeln beugte Alfred sich über den geschwollenen Knöchel. »Damit konntest du noch laufen? Natürlich bist du ein Soldat, Junge. Nicht alles in Neustadt ist so, wie es scheint. Wenn ich dich so ansehe …« Er musterte Orion kritisch. »Du hast Glück, dass sie deinen Eltern einen Offizier angedreht haben, keinen Fußsoldaten. Letztere haben ausgesprochen wenig Hirn.«
    Orion schnappte nach Luft, während Alfred fachkundig seinen Knöchel abtastete, doch seiner Stimme war nichts anzumerken. »Woher wollen Sie wissen, dass ich Hirn habe? Meine Lehrer haben des Öfteren Zweifel daran geäußert.«
    »Das macht die Glücksdroge«, sagte Alfred beiläufig. Er kramte in einer Kiste. »So, wo habe ich denn …«
    Ich sah lieber weg, während Orions Knöchel behandelt wurde, und las die Beschriftungen auf den Kisten, seltsame Kürzel, aus denen ich nicht schlau wurde.
    »Das wär’s dann.« Der Doktor betrachtete zufrieden den Verband, den er Orion verpasst hatte. »Oder gibt es sonst noch was? Ich kenne solche Typen wie dich. Immer Zähne zusammenbeißen und abwarten. Ihr würdet noch weitermarschieren, wenn euch die Zehen abfaulen. Also, was ist es?«
    Orion zeigte mit der linken Hand auf seine rechte Schulter. »Ich bin angeschossen worden.«
    Alfred wurde so weiß wie der Verband um Orions Fuß. »Was? Oh mein Gott! Steckt die Kugel noch drin?«
    »Nein, sie wurde entfernt. Aber es tut immer noch weh.«
    Der Arzt wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie wurde entfernt? Sicher? Von wem? Die Regs stecken die Sender gerne ins Fleisch.«
    »Ausgeschlossen«, sagte ich. »Es war eine Genesungshelferin, und sie hat die Kugel rausgeholt.«
    »Habt ihr genau gesehen, dass sie dafür nichts anderes in die Wunde reingetan hat? Wie gut kanntet ihr sie?«
    »Pi?«, fragte Orion leise.
    »Ich … ich weiß nicht. Wir haben alle weggesehen.«
    Alfred sog scharf die Luft ein. »Helm!«, rief er. »Schnell!«
    Der Gerufene stolperte ins Zelt. »Was? Alles in Ordnung?«
    »Der Junge wurde angeschossen. Wir müssen sofort das Lager abbrechen. Wie lange wart ihr unterwegs? Die Jäger könnten schon hier sein. Benachrichtige Paulus!«
    Helm wich zurück vor Entsetzen. »Du wurdest angeschossen?«, brüllte er. »Warum hast du das nicht gesagt, verdammt noch mal? Ihr habt uns erzählt, dass ein Mädchen erschossen wurde. Ihr habt kein Wort davon gesagt, dass du getroffen wurdest!«
    Mit zitternden Händen riss der Arzt Orion das Hemd vom Leib. Unter dem blutgetränkten Verband, mit dem Happiness ihn versorgt hatte, war die Haut gerötet und geschwollen.
    »Ist es noch drin?«, fragte Helm. Er schubste mich zur Seite, um besser sehen zu können.
    »Evakuiert das Lager.« Während er sprach, untersuchte Alfred die Wunde und kramte dann in einer Schublade, aus der er eine glänzende Klinge herausfischte. »Sofort.« Seine Stimme klang lange nicht so panisch wie Helms, doch die sanfte, unerbittliche Ruhe darin tat ihre Wirkung.
    Mich schauderte. Die Vorstellung, dass gleich etwas Schlimmes passieren würde, überwältigte mich, auch wenn ich keine Ahnung hatte, worum es überhaupt ging.
    »Komm!«, rief Helm.
    Ich wehrte mich gegen den harten Griff, mit dem er mich packte und kurzerhand aus dem Zelt hob. Ein merkwürdiges Vibrieren erfüllte die Luft.
    »Der Hubschrauber kommt. Rennt!« Er hielt einen Jungen auf, der gerade an uns vorbeiwollte. »Gabriel, nimm sie mit. Lauft um euer Leben.« Er schubste mich in die Arme des Fremden und blies in eine Pfeife, die er an einem Band um den Hals trug. »Paulus!«, schrie er. »Wir müssen evakuieren!«

20.
    Im nächsten Moment wimmelte es um uns herum von Menschen. Sie schienen blind in alle Richtungen zu laufen. Sämtliche Lichter, die eben

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