Wild und hemmungslos - Scharfe Stories
Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass …« Ich muss mir wirklich mal die Zeit nehmen und einen Mustertext dafür einrichten. Das wäre viel effizienter. Morgen. Morgen mache ich es. In der Zwischenzeit kann ich diese Art von Brief im Schlaf schreiben. He, das wäre erst effizient. »Wir hoffen, dass sie uns auch weiterhin als Abonnent erhalten bleiben …«
Ihr Schluchzen lässt ein wenig nach. Mein Stichwort. »Du weißt doch, dass er dich liebt.« Sie schluchzt wieder lauter, und ich kann mich nur mit Mühe konzentrieren. »Hör mal, so schlimm kann es doch gar nicht sein!« Hu! Ich darf nicht zu böse werden, sonst regt sie sich noch mehr auf. Beruhigend. Nur so komme ich weiter. »Ich finde, du machst das toll, und ich bin sicher, er findet das auch …«
Ich sitze schon seit einer ganzen Zeit in derselben Position hier, und langsam tut mir der Nacken weh. Deshalb greife ich nach oben, um das Telefon von einem Ohr ins andere zu stöpseln, und meine Hand ist nicht da. Mein Unterarm endet am Handgelenk. Ich erstarre, und Katherine weint weiter, während ich dort, wo eigentlich meine Hand sein sollte, auf den Bildschirm starre.
Ich beiße mir fest auf die Unterlippe und schmecke Blut.
Dann ist meine Hand wieder da. Als wäre sie die ganze Zeit über da gewesen. Als ob sie es geplant hätte. Nur ein kleiner Ausflug. Eine Pause vielleicht? Haben alle meine Körperteile das hinter meinem Rücken schon gemacht? Sich einfach davongeschlichen, wenn ich nicht
hingeschaut habe? Vielleicht habe ich in der letzten Zeit meinem Körper nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht will er sich ein bisschen sportlich betätigen? Schließlich habe ich schon länger keine Sit-ups mehr gemacht, weil ich morgens immer das Gefühl hatte, keine Zeit zu haben.
Ich habe Katherine schon seit einigen Minuten nicht mehr zugehört.
»Mädel, ich muss weitermachen. Ich rufe dich morgen zurück, okay? Tut mir leid! Tschüss.«
Ich lege auf. Sie hat immer noch geweint. Und meine Lippe blutet immer noch. Ich habe meinen Blick nicht von meiner Hand gewendet, aber sie scheint sich friedlich zu verhalten. Mir schlägt das Herz bis zum Hals – ein paar Zehen waren eine Sache, aber meine Hand brauche ich. Ohne Hand kann ich nicht tippen, und wenn ich nicht tippen kann, geht die Zeitschrift den Bach runter, und es ist ja nicht nur mein Projekt – die Leute verlassen sich auf mich, ich bin verantwortlich dafür. Ganz zu schweigen davon, dass ich ja irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen … War das ein Flackern?
Okay. Okay, atme tief durch. Beruhige dich. Ganz ruhig.
Ich gelobe, dass ich von jetzt an jeden Morgen meine Übungen machen werde. Okay? Ich frage mich, ob es wohl reicht, das zu denken, aber es würde sich albern anhören, wenn ich es laut ausspräche.
Ich stehe auf und schließe die Tür. »Ich gelobe, dass ich jeden Morgen alle meine Übungen machen werde.« Für alle Fälle füge ich ein »Das schwöre ich feierlich«
hinzu. Eigentlich hätte ich den Satz gerne begonnen mit »Ich, Sita Mathuri, geistig und körperlich gesund …«, aber das erscheint mir ein wenig riskant, weil ich mir dessen nicht ganz sicher bin.
Ich setze mich wieder an den Computer. Als ich wieder zu tippen beginne, blicke ich so starr auf die Tasten, dass ich viel mehr Fehler mache als sonst. Alles wird gut.
Ich rufe Mark an, aber er ist weder zu Hause noch im Büro. Er könnte überall sein – der Junge ist gerne unterwegs. Sein Anrufbeantworter ist nicht eingeschaltet. Ich überlege, ob ich ihm eine E-Mail schicken soll:
Mark. Ich verschwinde schnell. Schick Hilfe.
Oder vielleicht:
Süßer, ich muss dir leider mitteilen, dass ich den Verstand verliere. Da ich weiß, dass du mich wegen meines Verstandes und nicht wegen meines Körpers liebst, lass mich bitte wissen, ob du diese Beziehung beenden möchtest …
Vielleicht eher so:
Ich bin nicht sicher, was los ist, aber Körperteile verschwinden plötzlich. Würde gerne mit dir darüber sprechen. Ich weiß, es klingt verrückt, aber vielleicht ist es ja eine seltene Krankheit. Hoffentlich nicht ansteckend. Komm schnell!
Ich entscheide mich für das immer Nützliche:
Ruf mich an, bitte. Schnell!
Das müsste ihn eigentlich ordentlich beunruhigen. Ich glaube, das habe ich ihm auch geschrieben, als ich das letzte Mal mit ihm Schluss gemacht habe. Oder vielleicht auch beim vorletzten Mal. Auf jeden Fall könnte ich ein bisschen Gesellschaft in meinem Elend brauchen.
Ich logge mich aus und
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