Wild und hemmungslos - Scharfe Stories
wütender. Mit Zehen konnte ich noch umgehen. Selbst mit Fingern oder Händen: Schließlich könnte ich ja noch diktieren, oder? Die Software für Stimmerkennung wird immer besser. Aber wenn ich keinen Sex mehr haben könnte, weil die relevanten Körperteile beschlossen hätten, im entscheidenden Moment abzuwandern … Ich packe fest an meine Oberschenkel. Das tut weh. Ich tue mir selbst weh. Ich tue meinem Körper weh, der sich im Moment nicht gut benimmt. Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn ich tatsächlich versuchte, Haut wegzureißen. Würde sie verschwinden, bevor ich sie packen könnte? Würde sie zurückkommen?
Das Telefon klingelt.
Es ist nach Mitternacht. Das ist bestimmt Mark. Peter geht nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen und nachzudenken. Ich laufe auf und ab, während ich die Geschichte noch einmal erzähle. Es fällt mir leichter, als ich gedacht habe, aber mit ihm zu reden ist eigentlich immer leicht, wenn ich erst einmal angefangen habe. Leider weiß er auch keine Antwort für mich. Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht ich bin. Ich bezweifle zwar, dass er es tatsächlich nicht merkt, aber er lässt es mir durchgehen. Es war schließlich ein harter Tag.
Peter kommt wieder herein. Ich sage zu Mark, dass ich ihn morgen Abend anrufe, und lege auf. Peter zieht mich in die Arme.
»Du solltest zum Arzt gehen«, sagt er mit seiner besserwisserischen Stimme. Ich hasse das.
»Was kann ein Arzt denn schon machen?«
»Vielleicht hat jemand anderes ja schon einmal etwas Ähnliches erlebt. Ich versuche mal, im Internet etwas herauszubekommen, aber in der Zwischenzeit solltest du wirklich zum Arzt gehen.«
Ich will ihm widersprechen, aber er wird nicht nachgeben. Als es darum ging, dass ich mich im Auto anschnalle, war er genauso, und auch wegen meiner Schilddrüsenmedikamente und dem längst fälligen Zahnarztbesuch. Ich glaube, meistens gebe ich nur nach, damit er aufhört zu nerven – aber das ist ihm egal, solange er sein Ziel erreicht.
»Fährst du mich hin?«
»Natürlich.«
Er hält mich die ganze Nacht lang im Arm. Ein- oder zweimal wache ich auf, und er hält mich immer noch fest. Es hilft nicht wirklich, aber es schadet auch nichts.
Am nächsten Morgen ruft Peter in der Praxis an, und es gelingt ihm irgendwie, einen Termin für mich zu bekommen. Ich glaube, er hat die Empfangsdame bestochen. Er wartet geduldig, während ich meine Übungen mache. Ich habe schon fast das Vertrauen darin verloren, aber ich habe es geschworen, und ich halte meine Versprechen.
Die Ärztin sieht sehr gut aus, mit kurzen schwarzen Haaren und eisblauen Augen. Ich versuche, sie nicht zu offensichtlich zu mustern, als sie mich routinemäßig untersucht, meinen Puls misst, mir die Brust abhorcht …
»Nun, mir kommen sie ziemlich gesund vor. Was ist denn das Problem?«
Ich kann es nicht sagen. Ich kann es einfach nicht. Ich starre sie an und sie mich. Ihr fröhlicher Gesichtsausdruck weicht Besorgnis, aber sie wartet geduldig. Dieser Raum ist zu groß, zu kalt und zu weiß. Ich möchte gerne eine Decke, aber um so etwas kann man einen Arzt nicht bitten. Meine Zähne klappern. Sie sagt nichts, und schließlich muss ich sprechen.
»Können Sie mir bitte Ihren Block und einen Kugelschreiber geben?«
Ich schreibe es auf. Schreiben ist immer leichter. »Teile meines Körpers verschwinden ständig.«
Sie liest es, und ihre Augen weiten sich ein wenig. Gute Ärztin – sehr gut geschult.
»Teile ihre Körpers verschwinden ständig? Welche Teile?«
Ich sage es ihr und sehe, wie sich ihr Gesichtsausdruck verändert. Das läuft gar nicht gut.
Auf der Heimfahrt streite ich mit Peter im Auto. Er meint, ich solle tun, was die Ärztin sagt; einen Gang zurückschalten, Stress abbauen, vielleicht zu einem Therapeuten gehen. Leider hat sich in der Praxis keines meiner Körperteile verabschiedet, und ich weiß schon, was die Ärztin mit ihren scharfen blauen Augen und den gezielten Fragen gedacht hat. »Das arme Mädchen ist in jeder Hinsicht überfordert. Sie ist so müde und gestresst, dass sie sich Dinge einbildet.« Es wäre zwecklos gewesen, Peter als Zeugen hereinzuholen, dann hätte sie ihn bloß ebenfalls für überfordert gehalten. Er schläft nicht gut und sieht erschöpft aus. Aber trotzdem verschwinden
bei ihm keine Körperteile. Ich bekomme langsam Angst.
Peter setzt mich vor der Haustür ab. Er umarmt mich, und ich muss ihm versprechen, ihn anzurufen, wenn wieder
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