Wild und hemmungslos - Scharfe Stories
etwas verschwindet. Einen Moment lang würde ich ihn am liebsten dabehalten. Aber ich kann mich ja nicht ständig an ihn klammern – außerdem habe ich Mark gesagt, dass ich ihn anrufe. Und ich muss auch Katherine noch anrufen. Also lasse ich ihn los, gebe ihm einen Kuss auf die Wange und gehe ins Haus.
Es ist leichter, die Geschichte zum vierten Mal zu erzählen, aber ich weiß sowieso nicht, warum ich mir die Mühe mache. Katherine reagiert wie erwartet. Sie ist schon seit Jahren davon überzeugt, dass ich mich für einen von beiden entscheiden, mit Mark oder mit Peter zusammenziehen, heiraten bla, bla, bla und dann bis an mein Lebensende glücklich sein solle. Sie hat einfach zu viele Liebesromane gelesen. Seit wir gestern telefoniert haben, hat sie sich mit ihrem Freund wieder versöhnt, was bedeutet, dass sie noch mehr als sonst davon überzeugt ist, dass wahre Liebe alles heilt. Wenn ich Mark (oder Peter) Monogamie schwöre, dann werden alle meine Probleme gelöst. Und es wird kein Körperteil mehr verschwinden.
Selbst wenn das zuträfe, wäre es der Mühe nicht wert.
»Das ist einfach keine Option. Ich liebe beide. Nein, Kat, ich kann nicht sagen, welchen ich mehr liebe. Ich weiß es nicht. Ich bin nicht wie du.«
Schließlich sieht sie es ein, ändert jedoch ihre Strategie. Dann könnte ich doch bestimmt wenigstens damit aufhören, hübsche Mädchen und Jungen für eine Nacht mit nach Hause zu bringen? Klar könnte ich, aber warum sollte ich? Was hat das überhaupt damit zu tun? Wir streiten stundenlang. Normalerweise ist sie nicht so beharrlich – so lange, wie wir uns schon kennen, sollte man meinen, dass sie es mittlerweile ohnehin aufgegeben hätte. Aber jetzt hat sie neue Munition. Wir streiten, bis ich vor Frustration fast in Tränen ausbreche. Schließlich lege ich einfach auf. Sie wird es schon verstehen. Ich werde sie nächste Woche anrufen und mich entschuldigen; im Moment halte ich es einfach nicht mehr aus.
Auf mich wartet ein Berg von Arbeit, aber ich kann mich jetzt nicht daransetzen. Ich kann einfach nicht.
Ich rufe Mark an.
Ich hole Mark am Flughafen ab. Er hat sich ein Ticket gekauft und kommt zwei Wochen früher zurück. Kaum ist er da, fühle ich mich schon besser. Stärker. Solider.
In den letzten Tagen war nichts verschwunden, aber ich hatte ein bisschen durchsichtig ausgesehen. Meine Hausgenossen fanden, dass ich blass wirkte; eine von ihnen hat mir gestern Abend sogar aus heiterem Himmel etwas zu essen gemacht. Sie versuchte die ganze Zeit, mich von Karottensaft zu überzeugen. Ich hatte begonnen, mich hauptsächlich drinnen aufzuhalten; in hellem Sonnenlicht konnte ich die Venen und Arterien durch meine Haut hindurch sehen, das Blut, das hindurchfloss, die Muskeln, die sich streckten und zusammenzogen. Es
schien nicht gefährlich zu sein – meine Hände konnten immer noch tippen, meine Beine immer noch gehen -, aber es machte mich nervös. Jetzt bin ich froh, dass Mark bei mir ist.
Ich schlinge meinen Arm um ihn und drücke ihn fest an mich. Definitiv besser. Ich erwähne es nicht, bis wir zu Hause sind, bis wir aus dem Bus gestiegen und die letzten Blocks bis zu meinem Haus gegangen sind. Zum Glück hat er nur wenig Gepäck dabei. Wir schlüpfen ungesehen ins Haus; Mark ist nicht so der gesellige Typ, und mir gehen meine Hausgenossen mit ihrer Fürsorge auf die Nerven.
»Ich finde, du solltest häufiger alleine sein.«
Mark gibt mir für gewöhnlich keine Ratschläge, noch nicht einmal, wenn ich ihn darum bitte. Er muss sich echt Sorgen machen.
»Es geht mir schon besser, jetzt, wo du hier bist.« Es klingt schrecklich gefühlsduselig, aber das ist er von mir gewöhnt.
»Ich kann dich aber nicht gesund machen.«
»Schscht, ich weiß.«
Wir reden eine Weile und gehen dann schlafen. Noch keine echten Antworten. Aber es ist auch schwierig, eine Antwort zu finden, wenn man gar nicht weiß, wie eigentlich die Frage lautet. Hat die Ärztin recht? Hat Peter recht? Bin ich zu gestresst? Und wenn ja, kann ich etwas daran ändern? Bin ich bereit, etwas zu ändern?
Als ich am Morgen aufwache, scheint die Sonne durchs Fenster, und ich halte zögernd die Hand hinein. Ich kann
nicht hindurchsehen. Noch nicht einmal ein bisschen. Völlig solide und normal. Erleichtert drehe ich mich um, um Mark zu wecken, aber er sieht so friedlich aus. Er hasst es, geweckt zu werden. Wenigstens kann ich dafür sorgen, dass er angenehm geweckt wird.
Ich gleite tiefer unter die Decke
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