Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
Vom Netzwerk:
weichen Falten ihres Kleides und ihrer Unterröcke zusammen und machte sich so schmal wie möglich. Tarquins Rücken preßte sich hart gegen ihren, als er nach vorne hin Platz nahm und seine Pferde zu einem schnellen Trab antrieb. Juliana berührte behutsam Lillys Hand, ebensosehr zu ihrem eigenen Trost, wie um der anderen Trost zu spenden. Lilly schenkte ihr ein erschöpftes Lächeln, und dann blickten beide auf Rosamund, die fest von Lord Quentins Armen gehalten wurde. Ihre Augen waren offen, starrten blicklos aus ihrem totenähnlichen Gesicht in den Himmel hinauf. Sie schien unter Schock zu stehen und sich der Dinge, die um sie herum geschahen, überhaupt nicht bewußt zu sein.
    Rosamund ist nicht dafür geschaffen, mit den Widrigkeiten ihres Schicksals fertigzuwerden, dachte Juliana. Lilly war aus einem härteren Holz geschnitzt; sie konnte dieses Leben meistern, ohne daß ihre Seele Schaden erlitt. Tatsächlich genoß sie es oft sogar. Die meisten Mädchen aus der Russell Street vermochten ihrem Los Vergnügen abzugewinnen. Stets fanden sie etwas, worüber sie lachen konnten; sie nahmen regen Anteil an den Freuden und Kümmernissen der anderen und hielten fest zusammen. Sie lebten nicht in Not, und es bestand immerhin die Möglichkeit einer großartigen und sicheren Zukunft, wenn sich das Glück in ihre Richtung wandte. Aber genauso lauerte die Gefahr, in einer Besserungsanstalt wie Tothill Bridewell zu enden. Im Schuldnergefängnis. Die Gefahr, auf der Straße zu landen und unter den Marktständen von Covent Garden für einen halben Laib Brot die Beine zu spreizen. Doch sie zogen es vor, nicht über etwaiges Pech nachzugrübeln, und wer konnte es ihnen verübeln?
    Grimmig musste Juliana sich eingestehen, daß ihr allein keine Wundertaten gelängen. Sie warf einen Seitenblick auf das harte Profil des Herzogs. Er würde einen mächtigen Verfechter abgeben, wenn sie ihn dazu überreden könnte, seinen Einfluß geltend zu machen. Aber das war wahrscheinlich eine vergebliche Hoffnung.
    Es sei denn… ihre blutverkrustete Hand glitt zu ihrem Bauch. Bald würde sie Tarquin von dem Kind erzählen müssen, das sie erwartete. Vermutlich würde er sich freuen. Vielleicht würde er so entzückt sein, daß jeder Vorschlag auf offene Ohren stieße. Womöglich wäre er bereit, sich ausnahmsweise einmal für die Interessen anderer einzusetzen. Es konnte aber auch genausogut sein, daß er noch besorgter um sie wäre, noch strengere Vorsichtsmaßnahmen träfe, daß sie nicht durch den Umgang mit dem »Gesindel« von Covent Garden besudelt würde. Vielleicht schickte er ihr Ted auf den Hals oder sperrte sie ein, um sein ungeborenes Kind zu schützen. Sie und das Kind waren schließlich seine Investition. Und über die wachte er mit Argusaugen.

26. Kapitel
    George Ridge zwängte sich aus der Mietsänfte und zuckte unwillkürlich zusammen, als sich die Haut auf seinem Rücken bei der Bewegung schmerzhaft spannte. Stirnrunzelnd blickte er an der rissige Steinfassade von Viscount Edgecombes Stadthaus in der Mount Street hinauf. Das Gebäude hatte etwas Zwielichtiges und Heruntergekommenes an sich; die Messingbeschläge an der Haustür waren schon lange nicht mehr poliert worden, die Fenster schmutzig und trübe, die Farbe abgeblättert. Trotz der frühen Stunde hatte sich eine kleine Gruppe von Männern, die George sowohl von ihrer Kleidung als auch von ihrem Auftreten her augenblicklich als Gerichtsvollzieher erkannte, vor dem Haus versammelt und lehnte gegen das Eisengitter am Fuß der Treppe, die zur Haustür hinaufführte. Als sich George näherte, verschwand aus ihren Mienen die gähnende Langeweile, und sie strafften die Schultern, ihre Augen plötzlich wachsam.
    »Sie haben eine Angelegenheit mit Seiner Lordschaft zu regeln, Sir?« fragte einer von ihnen, während er mit einem schmutzigen Fingernagel in seinen Zähnen stocherte.
    »Was geht Sie das an?« Unwirsch dränge sich George an ihm vorbei.
    »Man wird ja wohl noch fragen dürfen, oder? Wenn Sie's nämlich schaffen, die Tür da oben aufzubekommen, dann sind Sie ein gutes Stück schlauer als wir«, erwiderte der Mann zornig. »Hat sich da oben verschanzt, der feine Herr, fester als ein Hühnerarsch.«
    George ignorierte ihn und betätigte den Türklopfer. Nichts rührte sich. Er trat einen Schritt zurück, um an der baufälligen Fassade hinaufzublicken, und erhaschte einen Blick auf ein Gesicht in einem der oberen Fenster, das durch die schmutzigen Scheiben spähte.

Weitere Kostenlose Bücher