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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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Abermals pochte er, und diesmal hörte er nach ein paar Minuten, wie die Riegel auf der Innenseite der Tür zurückgezogen wurden. Seine Gefährten hatten das Geräusch ebenfalls gehört und stürmten die Stufen hinauf. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Eine körperlose Hand griff nach Georges Ärmel und zog ihn durch die schmale Öffnung, während einem der Gerichtsvollzieher, der bereits seinen Fuß in den Spalt gesetzt hatte, die Tür krachend vor der Nase zugeschlagen wurde. Ein zorniges Gebrüll erhob sich draußen, dann schlug der Türklopfer mit einer solchen Vehemenz gegen das Holz, daß eine staubige Porzellanfigur auf einem Tisch in der Halle gefährlich auf ihrem Sockel zitterte.
    »Der Viscount ist oben.« Der Körper, der zu der Hand gehörte, war mager, das schmale Gesicht wieselähnlich, mit einem Paar sehr langer Schneidezähne, die über die dünnen Lippen hinausragten. Der Mann wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung in Richtung Treppe. »Erste Tür links.« Dann huschte er davon in das Dunkel hinter dem Treppenaufgang.
    Georges Miene wurde noch eine Idee finsterer, als er die Stufen hinaufstampfte, auf denen fingerdicker Staub lag. Seine Augen waren vom Alkohol gerötet, in seinem Blick loderte eine derartige Rage, daß es fast schon unmenschlich war. Der Junker glich einem aufgestachelten Bullen, nur von einem Gedanken und einem Ziel getrieben – Rache an dem Mann zu üben, der ihn wie einen Leibeigenen hatte auspeitschen lassen. Eine Rache, bei der diesmal Juliana der Schwarze Peter zufiele. Denn der Herzog von Redmayne hatte ihm schmerzhaft klargemacht, daß Julianas Gesundheit, Ruf und allgemeines Wohlergehen für ihn von größter Wichtigkeit waren. Juliana würde auf dem Marktplatz von Winchester auf dem Scheiterhaufen landen. Und bevor sie am Pfahl stand, würde er sie besitzen… sie demütigen, bis ihr die arrogante Verachtung ein für allemal vergangen war. Er würde dafür sorgen, daß sie auf den Knien vor ihm kroch – außerhalb Hör- und Reichweite ihres Beschützers. Und mit ihrem Todesurteil würde er endlich sein rechtmäßiges Erbe antreten.
    Er stieß die Tür auf der linken Seite der Treppe auf. Sie quietschte in ungeölten Angeln und gab den Blick auf einen spärlich möblierten Raum frei, über dessen Verwahrlosung immer noch die eleganten Proportionen und die kunstvoll geschnitzten Deckenfriese herrschten.
    Lucien hockte zusammengesunken in einem durchgesessenen Lehnstuhl neben einem Kamin, in dem sich ungestört die Asche des letzten Winters häufte. Eine Cognacflasche stand zu seinen Füßen, und eine zweite, leere, lag auf dem fadenscheinigen Teppich. In seinen Fingern baumelte ein Glas.
    Ruckartig fuhr er hoch, als George eintrat. »Dick, du Bastard, ich habe dir doch gesagt, ich… oh!« Er musterte seinen Besucher mit einem Ausdruck geringschätziger Neugier. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«
    »Sie werden mir helfen«, entfuhr es George kriegerisch. Er bückte sich nach der Cognacflasche, hob sie an seine Lippen und sprach dem Inhalt kräftig zu.
    Luciens Augen wurden scharf. Etwas höchst Interessantes war im Gange. Sir George hatte sein Mäntelchen schusseliger, eingeschüchterter Begriffsstutzigkeit abgelegt.
    »Bedienen Sie sich, mein lieber Freund«, forderte Lucien ihn auf, doch sein träger Tonfall konnte nicht über die Wachsamkeit in seinen Augen hinwegtäuschen. »Wo die Flasche herkommt, gibt's noch mehr von der Sorte. Zumindest hoffe ich das.«
    »Danke.« George nahm noch einen Schluck; sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als sich die hochprozentige Flüssigkeit seine Speiseröhre hinunterschlängelte, um das Feuer anzufachen, das in seinem Innern schwelte.
    »Also, wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Lucien nahm ihm die Flasche ab und hielt sie schräg an seinen Mund. »Verdammt, sie ist leer! Läuten Sie nach Dick, mein Bester!« Er wies auf die ausgefranste Klingelschnur neben der Tür.
    George zog daran, darauf gefaßt, den morschen Klingelzug aus der Wand zu reißen, doch von irgendwo in den Tiefen des stillen Hauses ertönte das schwache Scheppern einer Glocke.
    »Ich werde mir Juliana schnappen«, erklärte er, während er im Raum auf und ab wanderte. Jede Bewegung erzeugte einen stechenden Schmerz in seinem Rücken und erinnerte ihn mit bohrender Deutlichkeit an die Demütigung, die er durch den Gehilfen des Herzogs über sich ergehen lasssen musste. »Und diesmal wird mich nichts und niemand daran hindern.«
    »Ach?«

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