Wilde Chrysantheme
seiner Serviette abtupfte. »In meiner Westentasche wirst du etwas finden, was dich interessieren dürfte.«
Juliana ging zu dem Stuhl, auf dem seine Kleider lagen. Sie griff in die genannte Tasche und zog ein zusammengefaltetes Pergament heraus. »Was ist das?«
»Sieh es dir an.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und beobachtete sie aufmerksam über den Rand seines Weinglases hinweg, als sie das Blatt auseinanderfaltete.
»Oh… das bin ja ich!«
»Zu diesem Schluß kam ich ebenfalls!«
Juliana starrte auf das Plakat. Auf dem oberen Teil des Blattes prangte ein gezeichnetes Bildnis von ihr. Die Darstellung wirkte zwar etwas unbeholfen, aber die wesentlichen Züge stimmten. Und die Beschreibung ihrer Person war minuziös und unmißverständlich, bis hin zu den Sommersprossen auf ihrer Nase. Sie warf einen Blick in den Spiegel und verglich ihr Bild mit der Zeichnung und den näheren Angaben. Ihr Haar und ihre Augen waren es, die sie verrieten.
»Wo haben Sie das gefunden?«
»Die Plakate hängen überall in der Stadt.« Tarquin zog mit zwei Fingern eine Spargelspitze aus der Schüssel und schob sie sich in den Mund.
Juliana las die Beschreibung ihres Verbrechens:
Gesucht wegen Mordes an ihrem Ehemann: Juliana Ridge aus dem Dorf Ashford in Hampshire. Großzügige Belohnung für jede zweckdienliche Information. Wenden Sie sich an Sir George Ridge im »Gardener's Arms« in Cheapside.
»Ich wüßte gern, wie hoch wohl die Belohnung ist, die er ausgesetzt hat«, sagte Juliana nachdenklich, im Moment eher fasziniert als beunruhigt über dieses Beweisstück von Georges Verfolgungsjagd.
Der Herzog schüttelte den Kopf. »Ganz gleich, wie hoch sie ist, dir droht Gefahr, sobald du dieses Haus verläßt… bis du sicher außer Reichweite jenes Bauerntölpels bist. Deshalb werde ich eine spezielle Heiratserlaubnis beschaffen, sobald Copplethwaite die Verträge aufgesetzt hat. Bis zum Ende der Woche sollte die ganze Sache unter Dach und Fach sein.«
»Ich verstehe. Und was werde ich von Ihrem Cousin halten?« Juliana stand noch immer neben dem Stuhl und hielt das Plakat in der Hand.
»Du wirst ihn ohne Zweifel herzlich unsympathisch finden.« Tarquin schenkte sich noch etwas Wein nach. »Aber privat brauchst du nichts mit ihm zu tun haben. Ihr wohnt beide in meinem Haus in getrennten Räumen. Lucien wird dich absolut in Ruhe lassen.«
»Und ich nehme an, wenn ich erst einmal empfangen habe, dann wird das ebenfalls Ihre Privatangelegenheit sein, Mylord?«
»Das hängt von dir ab«, knurrte er. Er warf seine Serviette auf den Tisch und stand auf. Warum ihn ihre Frage derart aufbrachte, wußte er selbst nicht so recht; schließlich hatte sie das Recht dazu. »Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich dich nach Luciens Tod als meine Mätresse etabliere. Es dürfte keine Schwierigkeit sein, das diskret zu arrangieren. Die Witwe meines Cousins mit einem Kind, das meiner Vormundschaft untersteht, würde einen natürlichen Anspruch auf meine Aufmerksamkeit und meinen Schutz haben.«
»Ich verstehe. In Zukunft bin ich dann die wohlversorgte Mätresse eines Herzogs. Jede Kurtisane in der Stadt wird mich glühend beneiden, Mylord.«
»Es macht keinen Spaß, mit dir herumzustreiten«, erklärte Tarquin verstimmt und schnappte sich seine Kleider auf dem Stuhl.
»Aber verstehen Sie denn nicht?« rief Juliana leidenschaftlich. »Können Sie denn nicht wenigstens versuchen zu verstehen, was ich empfinde?«
Tarquin, der sich wieder anzukleiden begonnen hatte, hielt kurz inne und drehte sich um, um ihr gerötetes Gesicht unter dem flammenden Kranz ihrer Locken zu betrachten, die jadegrünen Augen, in denen sich so etwas wie Verzweiflung widerspiegelte. »Doch, ich glaube, das kann ich«, erklärte er beherrscht, »wenn du versuchst, mir Vertrauen zu schenken. Ich meine es nicht böse mit dir. Ganz im Gegenteil!«
Er kleidete sich rasch fertig an in dem Schweigen, das seine Worte erzeugt hatten, dann trat er auf Juliana zu und küßte sie. Kleine Küsse drückte er auf ihre Mundwinkel, ihre Nasenspitze und ihre Brauen. »Es hat doch heute abend auch Augenblicke gegeben, als du mich
nicht
dem ewigen Fegefeuer ausliefern wolltest, nicht wahr?«
Juliana nickte. »Gehen Sie nicht«, bat sie, als sie sich plötzlich der einen Sache sicher war, die sie wollte.
»Es ist aber besser!«
Juliana sagte nichts mehr, und er verließ sie augenblicklich. Sie trank einen Schluck von ihrem vergessenen Wein. Offenbar war es ihr nicht
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