Wilde Chrysantheme
zögerte, noch immer sichtlich ungehalten. Aber als Juliana ihn in stummer Bitte ansah, nickte er knapp und überquerte die Straße.
»Es macht euch doch nichts aus, wenn ich nicht mitkomme, oder?« Lucien steckte seinen Kopf zu dem offenen Kutschenfenster herein. »Ich schätze, es wird höchste Zeit, daß ich meinen Durst stille. Kann nicht noch einen Hustenanfall riskieren. Dort drüben an der Ecke ist eine Taverne.« Er wies mit seinem Hut in die entsprechende Richtung.
»Selbstverständlich nicht«, meinte Tarquin erleichtert.
»Aber zum Hochzeitsmahl werde ich wieder zurück sein… ihr könnt fest mit mir rechnen.« Lachend wandte Lucien sich ab und marschierte zielstrebig zum »Lamb and Flag« an der Ecke.
»Hochzeitsmahl}«
Juliana funkelte die beiden Männer, die ihr gegenübersaßen, böse an. »Wann wird dieser Bubenstreich endlich ein Ende haben, Mylord?«
»Luciens Vorstellung von einem gelungenen Scherz«, erklärte Tarquin. »Dergleichen ist keineswegs geplant. Was ich geplant habe, ist ein Besuch im Theater mit anschließendem Abendessen in der Rotunde in Ranelagh. Ich dachte, das würde dir Freude machen, Juliana. Hast du nicht Lust, uns zu begleiten, Quentin?«
»Wenn Juliana mir gestattet, mich euch anzuschließen«, sagte sein Bruder in nach wie vor eisigem Ton. »Aber vielleicht würde sie es ja auch vorziehen, sich in ihre eigenen Räume zu flüchten und zu weinen.«
»Oh, ich glaube nicht, daß Juliana zu solch melodramatischem Benehmen neigt«, entgegnete Tarquin. Er hoffte inständig, seine ermunternden Worte würden sie davor bewahren, den Mut zu verlieren. Instinktiv wußte er, wenn sie jetzt zusammenbrach, würde es später noch sehr viel schwerer für sie sein.
»Und woher wollen Sie das wissen, Sir?« Juliana kauerte in der Ecke, ohne ihren finsteren Blick eine Sekunde von dem Gesicht des Herzogs abzuwenden.
»Eine wohlbegründete Vermutung«, erklärte er. »Nun mach nicht so ein mißmutiges Gesicht, Mädchen. Ich schlage dir doch einen vergnüglichen Abend vor. Du wirst Lucien nicht sehen – tatsächlich ist es sogar möglich, daß du ihn nicht mehr zu Gesicht bekommst, bis du in die Gesellschaft eingeführt wirst. Oh, ich habe natürlich Vermählungsanzeigen in der
Morning Post
und der
Times
aufgegeben, deshalb kannst du höchstwahrscheinlich damit rechnen, im Laufe der nächsten Woche Gratulantenbesuch zu empfangen.«
»Ohne die Unterstützung meines Ehemannes, wie ich annehme?«
»Nun ja, solche Besuche sind wohl kaum nach Luciens Geschmack. Quentin und ich werden jedoch dasein, um dich nach besten Kräften zu unterstützen. Nicht wahr, lieber Bruder?«
»Gewiß!« Quentin ging auf, daß er inzwischen – ob es ihm nun passte oder nicht – tief in die Machenschaften Tarquins verstrickt war. Aber Juliana hatte ihn sehr viel wirksamer in die Sache hineingezogen als Tarquin. Juliana, die Tarquin… und auch Lucien… auf keinen Fall gewachsen war, würde alle Freundschaft und allen Schutz brauchen, die er ihr geben konnte. Ihre Augen waren von Kummer umschattet, als sie blicklos aus dem Fenster starrte, um ihren Mund lag ein angespannter Zug, ihre Hände lagen verkrampft in ihrem Schoß.
Sie war so jung. So verletzlich. So unschuldig. Armes Kind. Sicherlich hätte sie sich niemals träumen lassen, daß sie sich eines Tages in die Ränke eines Herzogs von Redmayne verwickelt finden würde. Tarquin hatte es schon immer vorgezogen, einen Umweg zu machen, um seine Ziele zu erreichen, und dieser Weg hier erwies sich so raffiniert und schlau ausgedacht wie jeder, den er je ersonnen hatte. Dennoch war es unentschuldbar, daß er jemanden so Schutzlosen und Unerfahrenen wie Juliana für seine Absichten mißbrauchte.
Quentin warf einen Seitenblick auf die stille Gestalt seines Bruders neben ihm. Tarquin hatte sich in die Polster zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen halb geschlossen. Quentin wußte jedoch, daß der Blick seines Bruders unverwandt auf Juliana ruhte. Um Tarquins Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns, als fände er etwas höchst amüsant oder erfreulich. Zu seiner Verblüffung spürte Quentin eine seltsame Sanftheit von seinem Bruder ausgehen. Er hatte schon immer Tarquins Gefühle und Stimmungen lesen können; eine Fähigkeit, die aus den Jahren der Nähe erwachsen war, aus den Jahren, als er seinen Halbbruder förmlich angebetet und ihm nachzueifern versucht hatte.
Inzwischen versuchte er nicht mehr, Tarquin nachzueifern… wollte
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