Wilde Chrysantheme
es nicht. Quentin hatte seinen eigenen Weg gefunden, und es war nicht der Weg des Herzogs. Aber das Band zwischen ihnen hielt wie eh und je. Im Augenblick spürte Quentin zu seiner Verwunderung eine deutliche Zärtlichkeit in Tarquin, als dieser Juliana anblickte – eine Wärme, die den leidenschaftslosen Zynismus seiner Worte und seines Benehmens Lügen strafte.
Quentins Blick kehrte wieder zu Juliana zurück, die furchtbar angespannt und still in ihrem bräutlichen Gewand dasaß. Ihr Schleier war zurückgeschlagen, so daß ihr Haar wie mattes Kupfer in dem dämmrigen Innern der Kutsche schimmerte. Wenn Tarquin in irgendeiner Weise von ihr eingenommen war, dann würden sich die Dinge vielleicht doch nicht so schlecht entwickeln, wie Quentin befürchtete.
Wenig später verlangsamte die Kutsche ihr Tempo und hielt am Straßenrand. Juliana erwachte mit einem Ruck aus ihrer bitteren Gedankenverlorenheit. Sie blickte aus dem Fenster und erkannte das Haus in der Albermarle Street. Das Haus, das in absehbarer Zeit ihr Heim werden sollte. Und wenn es ihr gelang, dem Herzog das Kind zu schenken, das er sich wünschte, dann würde es für viele, viele Jahre ihr Zuhause bleiben.
Ein Diener öffnete. Tarquin sprang leichtfüßig auf das Pflaster, klappte das Trittbrett aus und streckte Juliana hilfsbereit seine Hand entgegen. »Willkommen in Ihrem neuen Heim, Lady Edgecombe.«
Juliana wandte brüsk das Gesicht ab, als sie seine Hand ergriff und aus der Kutsche ausstieg, gefolgt von Quentin. Ihr Zorn brannte so heiß und tief wie das Magma im Inneren der Erde. Wie konnte er sie mit jenem abstoßenden, von der Syphilis zerfressenen Wrack von einem Mann verheiraten, ohne ihr die Wahrheit über ihn zu sagen? In Tarquins Augen war sie offenbar nicht mehr als eine teure Errungenschaft, die keinerlei Rechte oder Anspruch auf eine eigene Meinung hatte. Er hatte sie gebeten, ihm Vertrauen zu schenken, aber wie konnte sie jemals auf sein Wort vertrauen, wenn er ihr eine solch entscheidende Sache verheimlichte?
Aber sie würde sich rächen. Bei Gott, sie würde sich hundertfach dafür rächen! Bestärkt und ermutigt von diesem Entschluß, rauschte sie hocherhobenen Hauptes ins Haus, und ihre Würde ließ sie selbst dann nicht im Stich, als sie mit dem Absatz ihres Schuhs an der Türschwelle hängenblieb und sich an dem Lakaien festklammern musste, um zu verhindern, daß sie der Länge nach hinschlug.
Quentin sprang vorwärts und faßte mit einer Hand unter ihren Ellenbogen, um sie in ihrem Gleichgewicht zu unterstützen.
»Danke«, sagte sie steif, als sie von Quentin und dem Lakaien zurückwich.
»Juliana hat eine Neigung, zu stolpern und Dinge mit sich zu reißen«, stellte Tarquin fest. »Unter gewissen Umständen kann sie die Wirkung eines Taifuns entwickeln.«
»Wie äußerst galant von Ihnen, Mylord«, fauchte sie. Zornig riß sie sich den Schleier vom Kopf und warf ihn auf einen kunstvoll geschnitzten Tisch aus Rosenholz. Der Schleier verfehlte sein Ziel und landete in einer duftigen Wolke von Weiß auf dem Marmorfußboden.
»Nun, nun, wir wollen uns doch nicht vor den Bediensteten eine Schlägerei liefern«, sagte Tarquin ruhig. »Komm mit mir, und ich werde dir deine privaten Räume zeigen.« Er reichte ihr seinen Arm und geleitete sie in Richtung Treppe.
Quentin, der allein in der Halle zurückblieb, hob den verschmähten Schleier auf, legte ihn sorgsam gefaltet auf den Tisch und strebte dann zu der Bibliothek und der Sherry-Karaffe.
Juliana und der Herzog erreichten den obersten Absatz der hufeisenförmigen Treppe.
»Wie ich bereits vorgeschlagen habe, benutzt du vielleicht gerne das Morgenzimmer als dein privates Wohnzimmer«, sagte der Herzog in betont heiterem Tonfall, während er den Korridor hinunterzeigte auf die Tür, an die sich Juliana noch von ihrem ersten Besuch in diesem Haus her erinnerte. »Dort wirst du deine eigenen Freunde in vollkommener Ungestörtheit empfangen können.«
Welche Freunde
? Juliana schluckte die spöttische Frage hinunter und preßte die Lippen zusammen. »Dein Schlafgemach und das Boudoir befinden sich im vorderen Teil des Hauses, in der zweiten Etage.« Er schob sie eine zweite Treppe hinauf, die rechts von dem Absatz emporstieg. »Du wirst natürlich eine Zofe brauchen, und ich habe zu diesem Zweck eine Frau von meinem Gut eingestellt. Eine Witwe – ihr Ehemann war einer meiner Pachtbauern und starb vor einigen Monaten. Sie ist eine gute Seele. Sehr anständig und
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