Wilde Saat
wie sie glaubte, Doros Tochter, doch Isaak hatte es nie übers Herz gebracht, ihr das zu sagen. Es verlangte ihn danach, jetzt bei ihr zu sein, um sie zu beruhigen und ihre Schmerzen zu lindern. Er ließ sich schwer auf einen der Stühle fallen und starrte auf die Tür des Schlafzimmers.
»Sie wird es schon schaffen«, sagte Doro vom Tisch her, wo er ein Stück Kuchen aß, das Isaak für ihn aus der Vo r ratskammer geholt hatte.
»Wie kannst du das so genau wissen?« fragte Isaak.
»Ihr Blut ist gesund. Sie wird durchkommen.«
»Auch mein Blut ist gesund, aber ich wäre beinahe g e storben.«
»Du bist hier, was willst du mehr?« erwiderte Doro.
Isaak strich mit der Hand über die Stirn. »Ich glaube, auch wenn sie vor der Niederkunft stände, wäre ich voller Sorge. Sie ist ein so zartes kleines Ding – ganz wie Anya n wu.«
»Noch zarter sogar.« Doros Gesichtsausdruck verände r te sich nicht. Das Lächeln wich nicht aus seinen Zügen.
»Sie ist zu schwach«, sagte Isaak. »Ein wundersch ö nes, reizendes junges Mädchen. Nach dieser Nacht wird sie große Macht besitzen. Du sagtest, sie würde etwas von i h ren hellseherischen Fähigkeiten beha l ten.«
»Ja, ich nehme es an.«
»Es wird sie umbringen!« Isaak sah auf die Schlafzi m me r tür und fühlte, wie die geliebte Stieftochter litt und sich quälte. Er dachte an seinen Halbbruder Lale, der ähnliches durchgemacht hatte. Und er dachte an seine Mutter, die in ihrer Verzweiflung zum Strick gegriffen hatte. »Diese Ve r anlagung ist tödlich«, sagte er traurig. »Mag sein, daß Nweke noch eine Zeitlang am Leben bleibt, aber lange g e be ich ihr nicht!« Arme Nweke! Sogar der Übergang würde nicht das Ende ihrer Qualen bedeuten. Sollte Isaak ihr den Tod oder das Leben wünschen? Und was sollte er ihrer Mutter wünschen?
»Ich hatte Leute, die in der übersinnlichen Wahrne h mung genauso gut waren wie du im Bewegen von Gegen s tä n den«, erwiderte Doro. »Anneke zum Beispiel.«
»Glaubst du, sie wird wie Anneke?«
»Sie wird ihren Übergang ohne Schwierigkeiten scha f fen. Und sie wird auch eine gewisse Kontrolle über diese F ä higkeiten besitzen.«
»Ist sie verwandt mit Anneke?«
»Nein!« Doros Stimme verriet, daß er über Nwekes Verwandtschaft nicht zu sprechen wünschte.
Isaak wechselte das Thema. »Anyanwu besitzt eine vollkommene Kontrolle über alles, was sie tut«, sa g te er.
»Ja, innerhalb der Grenzen ihrer Fähigkeiten. Doch sie ist Wildsaat. Ich habe die Mühe satt, die es braucht, sie in Schach zu halten.«
Nweke hatte aufgehört, zu schreien. Plötzlich herrschte Stille im Haus.
Doro schluckte den letzten Bissen des Kuchens h e runter. »Du hast mir etwas zu sagen, nicht wahr?«
»Ja. Ich finde, daß es Unsinn wäre, sie zu töten. U n sinn und Vergeudung.«
Doro warf ihm einen Blick zu. Einen Blick, den Isaak zu deuten gelernt hatte; einen Blick, der ihm die Erlaubnis gab, Dinge zu sagen, die ein „anderer niemals hätte sagen dürfen. Im Laufe der Jahre hatte Isaak durch seine Brauc h barkeit, Tüchtigkeit und Treue das Recht erworben, zu s a gen, was er auf dem Herzen hatte. Und Doro hörte ihn an.
»Ich würde sie dir niemals wegnehmen«, sagte Doro r u hig.
Isaak nickte. »Würdest du es tun, wäre das mein E n de.« Er fuhr mit der Hand über die linke Brustseite. »Irgend e t was stimmt nicht mit meinem Herzen. Aber Anyanwu hat mir schon eine Medizin dafür gegeben.«
»So, mit deinem Herzen.«
»Sie kümmert sich darum. Sie sagt, sie habe keine Lust, meine Witwe zu werden.«
»Ich denke, sie wird dir wohl ein wenig helfen kö n nen.«
»Sie hilft mir schon seit über zwanzig Jahren ein wenig. Wie viele Kinder habe ich für dich allein in dieser Zeit g e zeugt.«
Doro schwieg. Er sah Isaak ausdruckslos an.
»Sie hat uns beiden geholfen. Wir beide verdanken ihr ziemlich viel«, fuhr Isaak fort.
»Was willst du von mir?«
»Ihr Leben.« Isaak machte eine Pause, doch Doro sagte kein Wort. »Laß sie leben. Nach einer Weile wird sie wi e der heiraten. Das hat sie immer getan. Dann wirst du noch mehr Kinder von ihr haben. Ihre Fruchtbarkeit ist une r schöpflich. Selbst du dürftest noch nie einer Frau mit ihrer Lebenskraft begegnet sein.«
»Ich hatte schon einmal jemanden, der heilen konnte wie sie.«
»Lebte sie auch so lange, bis sie über dreihundert Jahre alt war? Gebar sie dir Dutzende von Kindern? War sie f ä hig, ihre Gestalt nach Belieben zu ä n dern?«
»Es war ein Er. Und meine Antwort
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