Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
Vom Netzwerk:
mieden ihn, wo sie nur konnten. Sie gehörten einem großen, stattl i chen Menschenschlag an, dem Volk der Nubier. Schon bald zeigte es sich, daß Doro niemals ein großer, stattlicher Mann werden würde. Und schon bald zeigte sich ebenfalls, daß er besessen war. Er hörte Stimmen. Er hatte die Fal l sucht, wälzte sich mit Schaum vor dem Mund am Boden und schlug mit den Fäusten um sich. Manche Menschen fürchteten, er werde seine Teufel auf sie loslassen, und ve r suchten ihn zu töten. Aber irgendwie gelang es seinen E l tern immer wieder, ihn gegen solche Anschläge zu schü t zen, obwohl er nie erfa h ren konnte, wie. Aber es gab kaum etwas – vielleicht sogar überhaupt nichts –, das sie nicht für ihn getan hätten.
    Er war dreizehn, als es ihn traf wie ein Blitzschlag und er durch die Qualen des Übergangs hindurch mußte. Doro kannte keine seiner Hexen, die einen Übergang in diesem Alter lebend überstanden hatte. Und auch er selbst blieb nicht am Leben. Doch im Gegensatz zu allen anderen, d e ren Aufzucht ihm bis dahin gelungen war, besaß sein Tod eine andere B e schaffenheit. Es war nur sein Körper, der starb. Er selbst dagegen wechselte in den Körper des Me n schen über, der ihm am nächsten stand. Es war der Körper seiner Mutter, auf deren Schoß er gesessen hatte.
    Doro erinnerte sich noch genau, wie er auf sich niede r geschaut hatte – auf seinen eigenen Körper – ohne zu b e greifen, was geschehen war. Er hatte geschrien. In wilder Angst hatte er versucht, davonz u laufen. Sein Vater war es, der ihn zurückhielt. Er wollte wissen, was geschehen war. Doro vermochte nicht zu antworten. Er schaute an sich h i nunter, sah seine Frauenbrüste, seinen Frauenkörper und geriet endgültig in Panik. Ohne zu wissen wie oder warum, wechselte er erneut über – diesmal in den Körper seines Vaters.
    Er tötete und tötete in seinem bis dahin so friedlichen Nildorf. Schließlich brachten Feinde seines Volkes den Dor f bewohnern unfreiwillig die Rettung. Raubende und plü n dernde Ägypter nahmen ihn gefangen, als sie das Dorf überfielen. Zu diesem Zeitpunkt trug er den Körper eines jungen Mädchens – einer seiner Kus i nen. Vielleicht tötete er auch einige der Ägypter. Er hoffte es. Sein Volk hatte Jah r hunderte ohne ägyptische Überfälle gelebt, während die ägyptischen Lehnsherren sich gegenseitig befehdeten. Jetzt war Ägypten wieder erstarkt und verspürte Hunger nach Land, nach Bodenschätzen und Skl a ven. Doro hoffte, daß er viele von ihnen getötet ha t te. Doch sicher wissen würde er es nie. Seine Erinnerungen endeten mit der Ankunft der Ägypter. In se i nem Gedächtnis klaffte eine Lücke von etwa fünfzig Jahren, wie er später errechnete. Nach dieser Zeit erst begann es wieder zu arbeiten, und er stellte fest, daß man ihn in ein ägyptisches Gefängnis geworfen hatte, daß er den Körper eines etwa vierzigjährigen Fre m den trug, daß er mehr und weniger war als ein Mensch und daß er alles tun und alles haben konnte, was er wollte – absolut alles.
    Es hatte Jahre gebraucht, bis er auch nur annähernd h e rausgefunden hatte, wie lange er ohne Bewußtsein gewesen war. Noch mehr Zeit erforderte es, bis er imstande war, die genaue Lage seines Dorfes zu e r mitteln und mit Sicherheit sagen konnte, daß es nicht mehr existierte. Nie fand er auch nur einen einzigen Verwandten, irgendeinen Bewohner seines Dorfes. Er war allein.
    Mit der Zeit machte er die Erfahrung, daß manche T ö tungen ihm mehr Vergnügen bereiteten als andere. Manche Körper hielten länger. Er beobachtete sich sorgfältig und kam zu der Erkenntnis, daß Alter, Rasse, Geschlecht, kö r perliche Erscheinung und mit ganz seltenen Ausnahmen Gesundheit seine Freude an der Beute nicht beeinflußten. Er konnte jeden nehmen, und er nahm jeden. Doch was ihm die grö ß te Freude machte, war eine Eigenschaft, die er nach und nach als Hexenkunst bezeichnen lernte. Er b e gab sich auf die Suche nach seiner geistigen Ve r wandtschaft – Menschen, die besessen, verrückt oder zumindest ein w e nig andersartig waren. Sie hörten Stimmen, hatten Gesichte oder verfügten über andere ungewöhnliche Eigenschaften. Er selbst hatte sich mit solchen Dingen schon lange nicht mehr abgeg e ben – eigentlich seit der Vollendung seines Übe r gangs nicht mehr. Aber bei anderen förderte er diese Eigenschaften. Er bekam eine immer größere Ferti g keit darin, diese Menschen aufz u spüren; es war, als folge er dem Duft einer

Weitere Kostenlose Bücher