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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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Isaaks Gedanken. »Ich glaube nicht, daß ihre F ä higkeit des Gedankenhörens sie dabei behindern wird.«
    »Laß Nweke werden, was immer sie werden kann«, sa g te Isaak müde. »Wenn sie so gut ist, wie du es erwartest, dann wirst du zwei sehr wertvolle Frauen haben. Du wärst ein verdammter Narr, wenn du eine von ihnen umbringen wü r dest.«
    Wieder begann Nweke zu schreien. Krächzende, gra u envolle Töne drangen aus dem Raum.
    »O Gott!« stieß Isaak leise hervor.
    »Sie wird bald ihre Stimme verlieren«, erklärte Doro r u hig. Dann fragte er unvermittelt: »Hast du noch etwas von dem Kuchen für mich?«
    Isaak kannte ihn zu gut, um überrascht zu sein. Er stand auf, um den Teller mit dem früchtegefüllten holländischen Ölkuchen zu holen, den Anyanwu g e backen hatte. Es kam selten vor, daß Doro sich wegen der Qualen und Schme r zen eines anderen aus der Ruhe bringen ließ. Nur wenn es so ausgesehen hätte, als müsse das Mädchen sterben, hätte er sich Sorgen gemacht, ein so gutes Zuchtergebnis zu ve r lieren. Aber wenn das Mädchen einfach nur die Agonie des Übergangs erlitt, berührte ihn das kaum. Isaak zwang sich, wieder an Anyanwu zu denken.
    »Doro?« Er sprach so leise, daß Nwekes Schrei das Wort fast erstickt hätte. Doro blickte auf und sah Isaak an. Seine Augen drückten weder Zustimmung noch Drohung, noch Frage aus. Er blickte einfach nur zurück. Isaak hatte Katzen gesehen, die Me n schen auf diese Art anblickten. Katzen. Das war der richtige Vergleich. Immer häufiger passierte es Isaak, daß er den Eindruck hatte, nichts Me n schliches wohne in Doros Blick. Wenn Anyanwu zornig auf ihn war, dann sagte sie, Doro sei nur ein Mensch, der sich einbilde, ein Gott zu sein. Doch sie wußte es besser. Kein Mensch konnte ihr Angst einflößen – und Doro hatte – was immer ihm auch bei Anyanwu nicht gelungen war – eins erreicht. Er hatte sie g e lehrt, ihn zu fürchten.
    »Was wirst du verlieren«, sagte Isaak, »wenn du Anyanwu das Leben läßt?«
    »Ich bin ihrer müde. Das ist alles. Und das genügt. Ich bin sie einfach nur satt.«
    »Dann laß sie doch gehen. Schick sie fort, und laß sie ihr eigenes Leben leben.«
    Doro krauste die Stirn. Er wirkte so verwirrt und e r staunt, wie Isaak ihn noch nie gesehen hatte. Sicher war das ein g u tes Zeichen. »Denke darüber nach!« sagte Isaak. »Schließlich vermag die Zeit ihr nichts anzuhaben, und du hast die Zeit vieler Menschenl e ben, sie dir zu unterwerfen. Sicher kennt auch sie das Gefühl der Einsamkeit. Anyanwu sollte eine H e rausforderung für dich sein, nicht eine Beu n ruhigung.«
    Er schwieg. Es war nicht gut, Doro zu bedrängen und ihm ein Versprechen abzutrotzen. Isaak hatte dies schon vor vielen Jahren gelernt. Am besten, man stellte ihn vor eine Entscheidung und ließ ihn allein. Manchmal hatte man Erfolg mit dieser Methode. Manchmal hatte Isaak Erfolg d a mit, und es gelang ihm, ein Menschenleben zu retten. Manchmal scheiterte der Versuch.
    Sie saßen da, Doro aß langsam seinen Ölkuchen, und Isaak lauschte auf die Schmerzenslaute, die aus dem Schlafzimmer drangen. Schließlich wurde das Stö h nen und Murmeln immer leiser, und Nwekes Stimme war kaum noch zu vernehmen. Die Stunden vergi n gen. Isaak ging in die Küche und machte Kaffee.
    »Du solltest schlafen«, sagte Doro. »Nimm eins der Kinderbetten. Wenn du aufwachst, ist alles vorbei.«
    Isaak schüttelte müde den Kopf. »Wie könnte ich Schlaf finden mit dieser Ungewißheit!«
    »Na gut, dann schläfst du eben nicht. Aber leg dich w e nigstens ein paar Stunden hin! Du siehst entset z lich aus.« Doro faßte Isaak bei den Schultern und schob ihn in eins der Kinderschlafzimmer. Der Raum war dunkel und kalt. Doro machte ein Feuer und zündete eine Kerze an.
    »Soll ich hier bei dir bleiben?«
    »Ja«, erwiderte Isaak dankbar. Doro zog sich einen Stuhl heran.
    Das Schreien begann aufs neue, und einen Moment lang zeigte sich Isaak erschreckt und verwirrt.
    Die Stimme des Mädchens hatte sich schon vor lä n gerer Zeit zu einem schwachen, heiseren Wispern gesenkt, und außer einem gelegentlichen Quietschen oder Knarren des Bettes und dem keuchenden Atmen der beiden Frauen herrschte tiefste Stille im Haus. Und nun wieder dieses en t setzliche Schreien.
    Jäh setzte Isaak sich auf und stellte die Füße auf den Boden.
    »Was ist?« fragte Doro.
    Isaak nahm ihn kaum wahr. Er sprang plötzlich auf und rannte aus dem Zimmer. Doro versuchte, ihn aufzuhalten, doch Isaak stieß

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