Wilde Saat
Orientte p pich bedeckte den Fußboden, und einige andere Sessel und Tische standen im Raum verteilt. Ein Mädchen in einem sa u beren, blauen Kleid und einer weißen Schürze brachte Brandy. Sie blickte den Jungen an, als wollte sie ihn e r muntern, sich auch ein Glas einzugießen. Er l ä chelte, trank jedoch nicht.
Auch das Mädchen wäre eine gute Beute gewesen. War sie eine Tochter von Anyanwu?
»Was kann sie?« fragte Doro den Jungen, als das Mä d chen gegangen war.
»Babys zur Welt bringen, sonst nichts«, erwiderte der Junge.
»Hatte sie einen Übergang?«
»Nein, und sie wird auch nie einen bekommen. Nicht mehr in ihrem Alter.«
Eine Latente also. Eine, die gewisse Fähigkeiten an ihre Kinder weitergeben konnte, jedoch selbst diese Fähigkeiten nie besitzen würde. Sie müßte mit einem nahen Verwan d ten gekreuzt werden. Doro fragte sich, ob Anyanwu ihre Empfindlichkeit gegenüber diesen Dingen abgelegt hatte. War dieser Junge, der seine Arme wachsen ließ, das E r gebnis einer solchen Verbindung? Inzucht? War sein Vater vielleicht e i ner von Anyanwus älteren Söhnen?
»Was weißt du von mir?« fragte er den Jungen.
»Daß du nicht mehr bist als sie, auch wenn es den A n schein hat.« Er zuckte die Achseln. »Sie hat manchmal von dir erzählt – wie du sie in Afrika fortgeholt hast und wie sie in New York deine Skl a vin war. Damals, als es in New York noch Sklaven gab.«
»Sie ist nie meine Sklavin gewesen.«
»Sie glaubt das aber. Allerdings ist sie davon übe r zeugt, daß sie es nie mehr werden wird.«
In ihrem Schlafzimmer schlüpfte Anyanwu rasch und wie selbstverständlich in Männerkleider. Sie behielt ihre Fra u engestalt bei – sie wollte sie selbst sein, wenn sie Doro gegenübertrat –, aber nach der kleiderlosen Unbeschwe r theit in dem Hundekörper konnte sie die steifen Kleider, die die Mode den Frauen vorschrieb, nicht an sich ertragen. Überdies verbargen auch die Männerkleider nichts von i h rer Weiblichkeit. Keiner, der sie jemals in dieser Tracht gesehen hatte, war dem Irrtum verfallen, sie für einen Mann oder einen Jungen zu halten.
Mit einer jähen Bewegung hielt sie inne. Sie zerknüllte das Hemd, das sie eben anlegen wollte, in ihren Händen und schleuderte es zu Boden. Die Finger gegen die Schl ä fen gepreßt, stand sie vor dem Ankleidetisch. Doro würde St e phen in Stücke reißen, wenn sie jetzt davonlief. Nein, er würde ihn vermu t lich nicht töten, wohl aber einen Sklaven aus ihm machen. Hier in Louisiana und in den anderen Südstaaten gab es Leute, die Menschen züchteten, wie D o ro es tat. Sie gaben einem Mann eine Frau nach der and e ren, und wenn Kinder kamen, besaß der Mann keine Ve r fügungsgewalt über sie. Er hatte auch keine Verantwortung für sie, weder für sie noch für ihre Mutter. Autorität und Verantwortung waren das alleinige Recht der Masters. Das würde Doro ihrem Sohn antun. Er würde ihn zu einem Zuchttier erniedrigen.
Anyanwu dachte an die Söhne und Töchter, die sie bei ihrer Flucht in Doros Händen zurückgelassen hatte. Sie nahm nicht an, daß noch irgend jemand von ihnen am L e ben war, aber sie konnte sich vorstellen, was Doro mit i h nen g e macht hatte, solange sie noch lebten. Der Gedanke, daß sie ihren Kindern nicht hatte helfen können, quälte Anyanwu. Sie hatte nicht mehr für sie tun können, als Doro das Verspr e chen abzunehmen, sie während ihrer Ehe mit Isaak nicht anzurühren. Danach hätte sie bei ihnen bleiben und mit ihnen sterben können. Aber helfen, nein, helfen konnte sie ihnen nicht. Das Schlimme war, daß ihre Hilfe ihnen noch nicht einmal willkommen gewesen wäre. Ihre Kinder waren in Wheatley geb o ren und aufgewachsen, und Doro hatte es verstanden, sie für sich einzunehmen. Er brachte sie so weit, daß sie den Wunsch hatten, ihm zu g e fallen und nichts im Leben für wichtiger zu halten als seine Huld und seine Anerkennung. Durch Furcht zwang er sie zur Unterwerfung nur dann, wenn alle anderen Möglichke i ten sich als unwirksam herausstellten.
Und wenn auch Angst und Schrecken ihre Wirkung ve r loren …
Was konnte sie tun? Davonlaufen, Stephen und die a n deren zurücklassen? Nein, das konnte sie nicht. Aber auch wenn sie blieb, erreichte sie nichts damit. Helfen konnte sie ihren Kindern hier genausowenig wie ihren Kindern in Whea t ley. Helfen konnte sie so oder so nicht. Niemandem. Nicht einmal sich selbst.
Was würde er mit ihr machen, wenn sie jetzt zu ihm nach unten ging? Sie war vor ihm
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