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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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Massa. Die früheren Arme waren gebr o chen und verbrannten. Mußte mir ’n paar neue wachsen lassen. Noch ’n paar Wochen, und die hier sind lang g e nug.«
    Doro riß den Jungen zu sich herum und blickte ihn fo r schend an. Der Junge lächelte. Einen Moment lang fragte sich Doro, ob er einen Schwachsinnigen vor sich habe. Doch die Augen, die ihn anschauten, verrieten eine wache Intelligenz, und der leise Spott darin war unverkennbar.
    »Erzählst du allen Leuten , daß du imstande bist, dir neue Arme wachsen zu lassen?«
    Der Junge schüttelte den Kopf und reckte sich, so daß er Doro gerade in die Augen schauen konnte. Nichts von der Unterwürfigkeit eines Sklaven war in seinem Blick. Und als er weitersprach, gab er sich keine Mühe mehr, wie ein Sklave zu reden.
    »Ich habe nie zuvor mit einem Fremden darüber gespr o chen«, erwiderte er. »Doch mir wurde gesagt, wenn ich Sie wissen ließe, welche Fähigkeiten ich besitze und daß ich der einzige bin, der darüber ve r fügt, hätte ich eine bessere Chance, den heutigen Tag zu überleben.«
    Für Doro gab es keinen Zweifel, wer dem Jungen diesen Rat gegeben hatte. Irgendwie mußte Anyanwu ihn ausg e macht haben. »Wie alt bist du?« fragte er den Jungen.
    »Neunzehn.«
    »Wie alt warst du, als du den Übergang hattest?«
    »Siebzehn.«
    »Was kannst du?«
    »Ich kann mich selbst heilen. Ich brauche dazu alle r dings mehr Zeit als sie, und ich kann auch meine Gestalt nicht verändern.«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß es nicht. Ich nehme an, weil mein Vater es nicht konnte.«
    »Und was konnte er?«
    »Ich habe ihn nicht gekannt. Er ist gestorben. Aber sie sa g te, er konnte hören, was andere dachten.«
    »Kannst du das auch?«
    »Manchmal.«
    Doro schüttelte den Kopf. Anyanwu war dem Erfolg fast so nahe gekommen wie er selbst – und das mit weit wen i ger Rohmaterial. »Führe mich zu ihr!« sa g te er.
    »Sie ist hier«, entgegnete der Junge.
    Erschreckt sah Doro sich um. Er wußte, daß Anyanwu noch die Gestalt eines Tieres haben mußte, wenn er sie nicht erspüren konnte. Sie stand nur wenige Schritte hinter ihm neben dem gelben Stamm einer Kiefer. Sie war ein riesiger, wolfsgesichtiger schwarzer Hund, der ihn – reglos wie eine Statue – beobachtete.
    »So, wie du da bist«, sagte er unwillig, »kann ich nicht gut mit dir reden.«
    Sie begann damit, sich zu verwandeln. Sie ließ sich Zeit dabei, doch er verriet keine Ungeduld. Er hatte so lange auf sie gewartet, daß die wenigen Minuten keine Rolle mehr spielten. Schließlich betrat sie in menschlicher Gestalt, als Frau und ohne sich ihrer Nacktheit bewußt zu sein, an ihm vorbei den Vo r bau. In diesem Augenblick hatte er sie töten wollen. Und wenn sie irgendeine andere Gestalt anstatt der ihren angenommen hätte oder jemand anderes g e worden wäre als sie selbst, sie würde jetzt schon tot sind. Doch sie stand vor ihm, so wie sie vor über hundertfünfzig Jahren – vor anderthalb Jahrhunde r ten – vor ihm gestanden hatte. Sie war dieselbe Frau, mit der er ein Lager aus Lehmzi e geln geteilt hatte – Tausende Meilen von hier entfernt und vor vielen Menschenaltern. Er streckte die Hand nach ihr aus, als sie dicht an ihm vorbeischritt, doch sie bemerkte es nicht. Noch bevor er die glatten dunklen Schultern berüh r te, ließ er die Hand wieder sinken. Er starrte hinter ihr her, die Stirn gerunzelt und voller Ärger über sich selbst.
    »Komm ins Haus, Doro«, sagte sie.
    Ihre Stimme war dieselbe wie früher, jung und weich. Er folgte ihr, in seinem Inneren tobte ein Au f ruhr der Gefühle. Gegenwart und Vergangenheit schienen ihre Grenzen zu verlieren, und nur der wachsame, skeptische Blick des ju n gen Mannes in seiner Nähe erinnerte ihn an die Wirklic h keit.
    Er wandte den Kopf und sah Anyanwus Sohn an, der i h nen barfuß, mit zerrissenen und verschmutzten Kleidern folgte. Der Junge sollte in dem geschmackvoll eingericht e ten Haus eigentlich fehl am Platze sein, aber überrasche n derweise war dies nicht der Fall.
    »Komm mit in den Salon«, forderte er Doro auf und e r griff mit seiner kindlichen Hand Doros Arm. »Warte, bis sie sich ein Kleid angezogen hat! Sie wird gleich zurück sein.«
    Doro zweifelte nicht daran. Offensichtlich begriff der Junge seine Rolle als Geisel.
    Doro ließ sich in einem gepolsterten Lehnsessel ni e der, und der Junge nahm ihm gegenüber auf einem Sofa Platz. Zwischen ihnen ein kleiner hölzerner Tisch und eine Feuerstelle aus schwarzem Marmor. Ein großer

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