Wilde Saat
seinen Kindern hatte er auch ihnen das L e ben geschenkt.
Es hatte Zeiten gegeben, in denen Doro mit dem Geda n ken gespielt hatte, Anyanwu gegenüber Nac h sicht zu üben. Es hatte sogar Augenblicke gegeben, in denen er sie zu seiner eigenen Verwunderung und Verärgerung regelrecht vermißte – und mehr noch: in denen er den dringenden Wunsch verspürte, sie wiederzusehen. Ganz intensiv alle r dings dachte er an sie, wenn er ihre afrikanischen und am e rikanischen Nachkömmlinge miteinander paarte. Er arbe i tete schon lange an der Entstehung einer robusteren und weniger anfälligen Nweke. Die ersten Erfolge zeic h neten sich ab: Menschen, die in der Lage waren, die Vorgänge im Inneren des Körpers nicht nur zu erfa s sen, sondern bis zu einem gewissen Grad auch zu beherrschen – bei sich selbst und bei anderen. Doch ihre Fähigkeiten waren nicht b e ständig, es fehlte i h nen die absolute Zuverlässigkeit. Diese Leute kon n ten eine Krankheit nicht nur heilen, sie konnten sie auch verschlimmern. Sie töteten so oft wie sie g e sund machten. Sie brachten Dinge zustande, die in den Augen der Ärzte als Wunder galten. Aber g e nausooft führte ihre Macht zu Ergebnissen, die sogar der brutalste Sklavenha l ter grauenhaft genannt hätte. Außerdem lebten sie nicht sehr lange. Manchmal unterliefen ihnen tödliche Fehler in ihren eigenen Körpern, die sich nicht schnell genug korr i gieren ließen. Manchmal wurden sie von Verwandten ihrer toten Patienten umgebracht. Manchmal begingen sie Selbstmord – vor allem nach einem verhängnisvollen Ir r tum, den sie begangen hatten. Es fehlte ihnen eben die vollkommene Kontrolle, über die Anyanwu ve r fügte. Auch jetzt hätte Doro – wenn es möglich gewesen wäre – Anyanwu gerne mit einigen von ihnen zusammengebracht. Das Gebären menschlicher Babys hätte ihr besser ange s tanden als das Werfen von Tierjungen, womit sie sich in den Jahren ihrer Freiheit ganz sicher beschäftigt hatte. Doch für solche Wünsche war es wohl zu spät. Sie war verdorben. Sie hatte zu lange die Luft der Freiheit geatmet. Wie die meisten Wildsaatmenschen war sie schon verdo r ben gew e sen, noch bevor er ihr begegnet war.
Und so hatte er sich endlich auf den Weg gemacht, das längst fällige Geschäft ihrer Tötung zum Abschluß zu bri n gen.
Er machte ihren Aufenthaltsort aus, indem er ihre Fährte aufspürte, während sie sich in menschlicher Gestalt au f hielt. Kein einfaches Unterfangen. Obwohl sie sich aus e i nem ganz bestimmten Gebiet nicht entfernte, änderte sie ständig ihre Form. Tag e lang verlor er ihr Spur völlig. Dann verwandelte sie sich wieder in einen Menschen, und Doro konnte feststellen, daß sie sich von einem bestimmten geographischen Punkt nicht entfernt hatte. Doro näherte sich diesem Punkt mit Vorsicht. Dabei lebte er in fortwä h render Furcht, sie könne sich in einen Vogel oder einen Fisch verwandeln und damit seinem Zugriff für Jahre en t zogen sein. Doch sie blieb, wo sie war, lockte Doro quer durch das Land zum Mississippi, nach Avoyelles in Lou i siana.
Als Doro das Haus erreichte, das hinter Pinienwäldern und weiten Baumwollfeldern lag und von dem seine Sinne ihm sagten, daß Anyanwu sich dort ve r borgen hielt, zügelte er sein Pferd, saß minutenlang unbeweglich im Sattel und spähte aus sicherer Entf e rnung zu dem Gebäude hinüber. Es war ein riesiger weißer Holzbau mit großen, völlig u n nötigen Säulen und einer geräumigen Veranda davor – s o lide und wie für die Ewigkeit gebaut. Er sah die Sklave n hütten dahinter, fast verborgen unter mächtigen Baumkr o nen. Es gab eine große Scheune, ein Küchenhaus und and e re Ba u lichkeiten, deren Zweck Doro aus der Ferne nicht erkennen konnte. Er sah Schwarze, die auf den Feldern arbeiteten, spielende Kinder, einen Mann beim Holzspa l ten, eine Frau vor einem dampfenden Waschzuber, eine andere im Gemüsegarten mit Jäten beschäftigt. Er sah e i nen Jungen mit auffa l lend kurzen Armen, der sich hier und da zur Erde beugte und mit schmalen knochigen Händen Abfall aufhob. Doro beobachtete diesen Sklaven sehr la n ge. War seine Mißbildung vielleicht das Resultat irgen d welcher Zuchtversuche, die Anyanwu angestellt hatte?
Ohne sich Rechenschaft über sein Tun zu geben, ritt D o ro den Weg zurück, den er gekommen war. Er hatte sich vorgenommen, Anyanwu zu nehmen, sobald er ihrer a n sichtig wurde. Sie zu nehmen, sola n ge ihr Instinkt sie noch nicht gewarnt hatte, solange sie noch ein Mensch
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