Wilde Saat
und somit verwundbar war. Statt dessen ritt er davon, fand eine U n terkunft für die Nacht in der Hütte eines der ärmeren Nachbarn Anyanwus. In dieser Hütte lebten ein Mann, se i ne Frau, ihre vier kleinen Kinder und Tausende von Fli e gen. Doro verbrachte dort eine entsetzliche, schlaflose Nacht, doch am nächsten Tag entpuppte sich diese Familie während des Frühstücks und des Mittagessens als vorzügl i che Informationsquelle in bezug auf den wohlhabenden Nachbarn. Doro erhielt Kenntnis über Mister Warricks verheiratete Töchter, seine Sklavenbastarde und sein u n nachbarliches Verhalten, das in den Augen dieser Me n schen eine Todsünde war. Außerdem erzählten sie von Mister Warricks verstorbener Frau, von den häufigen Re i sen, die er unternahm und von denen niemand wußte, w o hin sie gingen. Doch das Befremdlichste, das Doro über den Plantagenbesitzer erfuhr, war die Ta t sache, daß der Warrick-Besitz von einem Tier b e wacht wurde, das die Nachbarn einen Werwolf nan n ten. Nach außen hin schien es sich nur um einen ri e sigen schwarzen Hund zu handeln, doch Doros Gastgeber, der nur wenige Meilen von seinem jetzigen Wohnhaus geboren und aufgewachsen war, b e hauptete steif und fest, daß das schwarze Ungeheuer die Warrick-Plantage schon bewacht habe, als er noch ein Ju n ge gewesen sei. Ein unheimliches Tier, berichtete der Mann weiter, dem auch mit einer Waffe nicht beizuko m men sei. Sogar gegen Gewehrkugeln sei es gefeit. Die K u geln gingen durch das Tier hindurch wie durch Rauch.
Das genügte Doro. Wie viele Jahre hatte Anyanwu en t weder in der Fremde oder in der Gestalt eines riesigen Hundes verbracht? Wie lange hatte sie gebraucht, bis ihr klar wu r de, daß sie in Tiergestalt für Doro unauffindbar war? Und noch wichtiger, was würde geschehen, falls sie ahnte, daß er in der Nähe war? Würde sie sich wieder in ein anderes Tier ve r wandeln und sich vor ihm davonmachen? Er sollte sie töten, sobald sich die nächste Gelegenheit dazu bot. Vielleicht gelang es ihm auch, eine Geisel zu nehmen, aus ihren Sklaven diejenigen auszuwählen, die als Beute besonders geeignet waren. Vielleicht konnte er sich Anyanwu wieder gefügig machen, indem er ihre Kinder bedrohte. Daß es sich bei diesen Sklaven um Anyanwus Kinder ha n delte, davon war Doro fast überzeugt.
Am nächsten Morgen bog Doro auf seinem schwarzen Wallach in die Allee ein, die zu Anyanwus Herrenhaus führte. Als er vor der Veranda anhielt, eilte ein junger Mann herbei, um ihm das Pferd abzune h men. Es war der Sklave mit den mißgebildeten A r men.
»Ist dein Master zu Hause?« fragte Doro.
»Ja, Sir«, erwiderte der Junge leise.
Doro legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Laß das Pferd hier! Du kannst dich später darum kümmern. Führe mich zuerst zu deinem Master!« Die Entscheidung, die er getroffen hatte, kam für ihn selbst überraschend, aber der Junge paßte hervorragend in seine Pläne. Trotz seiner Mißbildung stellte er eine Beute dar, wie Doro sie sich be s ser nicht denken konnte. Kein Zweifel, daß Anyanwu sehr an ihm hing – ihr Lieblingssohn vermutlich.
Der Junge maß Doro mit einem furchtlosen Blick, dann wandte er sich dem Haus zu. Doro folgte ihm. Seine Hand umschloß immer noch die Schulter des Jungen. Der kleine Sklave ließ ihn gewähren, o b wohl es ein leichtes für ihn gewesen wäre, die Hand des anderen abzuschütteln. Doro trug die Gestalt e i nes kleinen, schmächtigen Franzosen, der Junge dagegen war muskulös und machte einen kraftvo l len, geschmeidigen Eindruck, obwohl auch er von eher kleiner, gedrungener Statur war. Alle Kinder Anyanwus neigten zu einem untersetzten Körpe r wuchs.
»Was ist mit deinen Armen passiert?« fragte Doro.
Der Blick des Jungen streifte ihn, glitt dann über die stark verkürzten Arme. »Unfall, Massa«, gab er zur An t wort. »Ich hab’ versucht, ein paar Pferde aus ’nem bre n nenden Stall rauszuholen. Eh’ ich sie rau s hatte, kriegte ich ’nen Balken mit!« Doro moc h te den Sklaven-Slang nicht. Er klang unecht.
»Aber …« Doro legte die Stirn in Falten und sah auf die mißgebildeten Arme an dem sonst so kräftigen Körper des jungen Mannes. Kein Unfall konnte eine solche Mißbi l dung verursacht haben. »Ich dachte, es handle sich um e i nen Geburtsfehler«, sagte er.
»Nein, Sir. Ich kam mit zwei gesunden Armen auf die Welt – sie waren genauso lang wie ihre.«
»Und wie kommst du dann an diese Arme da?« fragte Doro gereizt.
»Vom Balken,
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