Wilde Saat
kannst du mir gla u ben! Nie mehr! Bis zum Ende deiner Tage!«
Trotz seiner Schmerzen wich der junge Mann vor Anyanwu zurück, die Arme schützend vors Gesicht geh o ben.
»Was für ein Stück Dreck mußt du sein, daß du über ein unschuldiges Kind herfällst!« stieß Anyanwu hervor. A n geekelt stellte sie ihn auf die Füße, ohne auf seine Schw ä che Rücksicht zu nehmen, ohne auf sein qualvolles Stö h nen zu achten. »Und nun ins Haus mit dir!« befahl sie. »Oder verkriech dich in die Scheune zu den anderen Ti e ren!«
Er schleppte sich ins Haus. Erst als er die Treppe e r reicht hatte, verlor er das Bewußtsein. Anyanwu brachte ihn in eine kleine, heiße Dachkammer, sie wusch ihn und legte ihm einen Rippenverband an. Dann ließ sie ihn mit etwas Wasser, Brot und einigen Früchten allein. Sie hätte ihm etwas geben können, das sein Schmerzen linderte, aber sie tat es nicht.
Das kleine Mädchen, Helen, lag schlafend auf seinem Bett. Es trug noch die zerfetzten Kleider. Ihr Gesicht war auf einer Seite, wie von einem heftigen Schlag, ang e schwollen. Der Anblick des mißhandelten Mädcheng e sichts nährte Anyanwus Zorn. In ihrem ersten Impuls drängte es sie, Joseph aufzusuchen und ihn für seine B e stialität zu zücht i gen. Statt dessen weckte sie das Kind mit einer sanften Berü h rung.
Trotz der Zartheit von Anyanwus Bewegung erwachte Helen mit einem Schreckensschrei.
»Du bist in Sicherheit«, beruhigte Anyanwu das Kind. »Ich bin da.«
Helen klammerte sich an sie. Mit aller Kraft hielt sie sich an der Mutter fest, aber sie weinte nicht.
»Bist du verletzt?« fragte Anyanwu. »Hat er dir weh g e tan?«
Das Mädchen gab keine Antwort.
»Obiageli, bist du verletzt?«
Das Mädchen ließ sich langsam in die Kissen zurüc k sinken und schaute mit großen Augen zu Anyanwu auf. »Er kam in meine Gedanken«, sagte sie. »Ich konnte sp ü ren, wie er kam.«
»In deine Gedanken?«
»Ich konnte es spüren. Ich weiß, daß er es war. Er ve r langte von mir, daß ich zu Tina Durans Haus ging.«
»Zwang er dich, zu gehen?«
»Ich weiß es nicht.« Endlich begann das Kind zu we i nen. Sie warf sich herum und barg schluchzend das Gesicht in den Kissen. Anyanwu strich sanft über Schultern und Nacken des Mädchens. Sie glaubte nicht, daß das Kind weinte, weil es beinahe vergewaltigt worden war.
»Obiageli«, flüsterte sie. Vor der Geburt des Mä d chens hatte eine kinderlose Weiße namens Helen Matthews Anyanwu gebeten, einem ihrer Kinder den Namen Helen zu geben. Anyanwu hatte diesen N a men nie gemocht, aber die weiße Frau war eine gute Freundin von ihr gewesen. Eine von den Menschen, die die Zwänge der eigenen Erziehung überwunden und nicht nach dem Gerede der Nachbarn gefragt hatte. Es war ihr gelungen, die anerzog e nen Vorurteile abzulegen, sie war auf die Plantage geko m men, um dort mit Anyanwu und ihren Leuten zu leben. Sie hatte keine Kinder bekommen können, und als sie Anya n wu begegn e te, war sie über das Alter hinaus, in dem eine Frau empfangen kann. So erhielt Anyanwus jüngste Toc h ter den Namen Helen. Und Helen war das ihrer Kinder, das Anyanwu meistens bei ihrem zweiten Namen rief: Obiag e li.
»Obiageli, erzähl mir alles, was er getan hat!«
Nach einer Weile stieß das Mädchen einen tiefen Seu f zer aus, drehte sich auf den Rücken und wischte die Tränen aus ihren Augen. Es lag still und starrte unter die Decke, eine kleine Falte zwischen den A u genbrauen.
»Ich war unterwegs, um Wasser zu holen«, begann es. »Ich wollte Rita helfen.« Rita war die Köchin – eine Frau mit Neger- und Indianerblut in den Adern und mit dem Aussehen einer Spaniern. »Rita brauc h te Wasser, deshalb war ich beim Brunnen. Er kam und sprach mit mir. Er sa g te, ich sei schön. Er sagte, er möge kleine Mädchen wie mich. Er sagte, ich habe ihm von Anfang an schon gefa l len.«
»Ich hätte ihn in den Schweinestall werfen sollen«, murmelte Anyanwu ergrimmt. »Dann hätte er sich dort im Mist wälzen können. Etwas anderes paßt nicht zu diesem Drec k skerl!«
»Ich wollte für Rita Wasser aus dem Brunnen holen«, fuhr das Mädchen fort. »Aber er sagte zu mir, ich solle mit ihm kommen. Ich bin mitgegangen. Ich wollte es nicht, aber ich konnte spüren, wie er in meinen Gedanken war. Dann war ich plötzlich nicht mehr in mir – ich war irgen d wo auße r halb von mir, von wo aus ich sehen konnte, wie ich mit ihm ging. Ich versuchte wegzulaufen, aber ich konnte nicht. Meine Füße bewegten
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