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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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Erholung von uns Menschen, und gönne uns eine Erholung von dir!«
    Die Worte schreckten Anyanwu aus ihrer Teilnahmsl o sigkeit. »Eine Erholung von mir?«
    »Die von uns, die deinen Schmerz genauso fühlen, wie du ihn fühlst, brauchen eine Erholung von dir.«
    Anyanwu blinzelte. Ihre Gedanken waren anderswo g e wesen. Natürlich! Die Menschen, die ihren Schutz und ihre Fürsorge genossen, die glücklich waren, wenn es ihr gu t ging, diese Menschen mußten auch leiden, wenn sie litt.
    »Ich werde gehen«, erklärte Anyanwu einfach.
    Die alte Frau lächelte. »Es wird dir guttun.«
    Anyanwu benachrichtigte eine ihrer weißen Töchter und lud sie, deren Mann und deren Kinder auf die Plantage ein. Sie wußten, daß sie nicht notwendig gebraucht wurden, denn auch während Anyanwus Abwesenheit würde alles auf der Plantage seinen gewohnten Gang nehmen. Anya n wu wollte nur, daß jemand da war, der nach außen hin ihre Stelle einnahm. Andererseits würde die Familie ihrer Toc h ter sich ohne Schwierigkeiten in das Leben auf der Plant a ge einfügen. Ihre Tochter und deren Mann waren beides Menschen, die sich in ihrer Andersartigkeit von den übl i chen Menschen abhoben. Die Menschen hier würden ke i nen Anstoß an ihnen nehmen. Leah war wie Denice, ihre Mutter. Sie nahm die Verga n genheit der Dinge in sich auf, wurde beeindruckt von Häusern, Räumen, Möbelstücken, von Steinen, Bäumen und menschlichem Fleisch. Sie sah das, was in der Vergangenheit in ihnen oder mit ihnen g e schehen war. Anyanwu warnte sie eindringlich d a vor, das Waschhaus zu betreten. Die Veranda des Haupthauses, wo Stephen den Tod gefunden hatte, war schlimm genug für sie. Leah merkte sich sehr schnell, welche Stellen sie me i den mußte und welche Gegenstände sie nicht berühren durfte, wenn sie nicht mit ansehen wollte, wie ihr Bruder über das Geländer stieg und kopfüber in die Tiefe stürzte.
    Der Ehemann, Kane, besaß genügend Sensitivität, um gelegentlich Leahs Gedanken lesen zu können und zu b e gre i fen, daß sie keinen geistigen Defekt hatte – jedenfalls ke i nen größeren als er selbst. Er war ein Viertelneger, der bei seinem weißen Vater aufwuchs und von ihm die Au s bildung eines Weißen erhielt. Unglücklicherweise starb der Vater, bevor er seinem Sohn die Freilassungs-Urkunde ausgestellt hatte. Kane blieb zurück, der Frau seines Vaters schutzlos ausgeliefert. Im letzten Augenblick konnte er dem Sklavenhändler entkommen, an den sie ihn verkaufen wollte. Er verließ Texas und floh nach Louisiana. Hier g e lang es ihm auf Grund der guten Ausbildung, die er bei seinem Vater genossen hatte, sich als wohlerzogenen und gebildeten jungen we i ßen Mann auszugeben. Über seine Vergangenheit schwieg er so lange, bis er zu begreifen b e gann, wie andersartig die Familie seiner Frau war. So ganz verstand er seine Frau immer noch nicht, aber er liebte Leah. Er konnte bei ihr er selbst sein, ohne sie in irgende i ner Form zu beunruhigen. Das Leben mit ihr verlief in Ei n tracht und Harmonie. Um dies nicht zu gefährden, akze p tierte er sie, ohne sie zu verst e hen. Außerdem bot sich ihm des öfteren die Mö g lichkeit, längere Zeit auf der Plantage zu verbringen und sich der Gesellschaft von Anyanwus absonderlicher Sammlung aus Käuzen und Eigenbrötlern zu erfre u en. Er fühlte sich dort zu Hause.
    »So, du willst also zum Meer!« sagte er zu Anya n wu. Er verstand sich gut mit ihr, solange sie ihre Warrick-Identität beibehielt. In ihrer eigentlichen Gestalt als junge Frau b e unruhigte sie ihn. Er kam mit dem Gedanken nicht zurecht, daß der Vater se i ner Gattin eine Frau werden konnte – ja sogar als Frau geboren worden war. Seinetwegen nahm Anyanwu also i m mer das Aussehen des hageren, älteren Plantagenb e sitzers Edward Warrick an.
    »Ich muß einfach eine Weile von hier fort«, sagte sie.
    »Wohin wirst du diesmal gehen?«
    »Ich werde mich dem ersten Delphinschwarm anschli e ßen, dem ich begegne.« Sie lächelte ihn an. Der Gedanke an das Meer erfüllte sie mit Ruhe und Zufriedenheit. Wä h rend ihrer Flucht hatte sie lange Zeit als Delphin gelebt. Z u nächst nur, um Doro an der Nase herumzuführen, dann, um nach versunkenen Schätzen zu suchen und damit Land kaufen zu können und schließlich, weil es ihr Freude machte. Die Freiheit des Meeres ließ sie alle Sorgen verge s sen, gab ihr Zeit zum Nachdenken und vertrieb jede Langewe i le. Oft fragte sie sich, was Doro gegen die Langeweile tat. T ö ten?
    »Du wirst

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