Wilde Saat
Wohlgefallen an und sagte: »Es geht dir gut, Anyanwu. Ich dachte es mir.«
»Mir geht es immer gut.«
Er lachte. »Du bringst mir Glück auf dieser Reise. Komm mit, und sieh nach, ob meine Männer noch andere von de i nen Verwandten gekauft haben.«
Sie stieg mit ihm hinunter ins Schiffsinnere und folgte ihm durch mehrere große Räume, in denen sich, nach G e schlechtern getrennt, nur wenige Menschen befanden. Sie lagen in Hängematten oder saßen in Gruppen zusammen und redeten miteinander – s o weit sie jemanden gefunden hatten, der ihre Sprache sprach.
Keiner von ihnen trug Ketten wie die Sklaven an der Küste, die Anyanwu gesehen hatte. Keiner schien verletzt oder verängstigt zu sein. Zwei Frauen stillten ihre Säugli n ge. Die verschiedensten Dialekte und Sprachen drangen an Anyanwus Ohr, schließlich vernahm sie die eigene. Sie blieb vor der Matte einer jungen Frau stehen, die leise vor sich hinsummte.
»Wer bist du?« fragte sie die Frau überrascht.
Die Frau sprang auf die Füße und griff nach Anya n wus Hand. »Du sprichst meine Sprache«, rief sie erfreut. »Ich glaubte schon, nie mehr ein Wort zu hören, das ich verst e hen würde. Ich bin Udenkwo.«
Die Worte der Frau klangen für Anyanwu irgendwie fremdartig. Viele Worte, die sie gebrauchte, hatten eine andere Aussprache oder waren Anyanwu unb e kannt, so daß sie nur den Sinn erraten konnte.
»Wie bist du hierhergekommen, Udenkwo?« fragte Anyanwu. »Haben diese Weißen hier dich von zu Hause verschleppt?« Aus den Augenwinkeln sah sie, daß Doro sich umdrehte und sie voller Unwillen an b lickte. Dennoch ließ er es zu, daß Udenkwo die Frage Anyanwus beantwo r tete.
»Nicht diese Weißen«, sagte sie. »Fremde, die eher so sprechen wie du. Sie verkauften mich an andere. Im ganzen wurde ich viermal verkauft. Zuletzt an diese Leute hier.« Wie betäubt schaute sie sich um, ein Ausdruck der Überr a schung erschien plötzlich auf ihren Zügen. »Niemand von ihnen hat mich g e schlagen oder in Ketten gelegt.«
»Wie wurdest du gefangen?«
»Ich ging mit Freundinnen zum Wasserholen an den Fluß. Man hat uns alle gefangengenommen und unsere Kinder mit uns. Mein Sohn …«
»Wo ist er?«
»Sie nahmen ihn mir fort. Als ich das zweite Mal ve r kauft wurde, blieb er zurück.« Der fremdartige Akzent ließ den Schmerz der Frau in unverhüllter Schärfe deutlich werden. Sie blickte von Anyanwu zu Doro. »Was wird nun mit mir geschehen?«
Diesmal übernahm Doro die Antwort: »Du wirst mit mir kommen in mein Land. Du gehörst nun zu mir.«
»Ich bin frei geboren. Mein Vater und mein Ehegatte sind angesehene und einflußreiche Männer.«
»Das ist vorbei.«
»Laß mich zu meinem Volk zurückkehren!«
»Mein Volk wird von nun an dein Volk sein. Du wirst mir gehorchen, wie sie mir gehorchen.«
Udenkwo rührte sich nicht, und doch schien es, als we i che sie vor ihm zurück. »Werde ich jetzt wieder angeke t tet? Wird man mich schlagen?«
»Nicht, wenn du gehorchst!«
»Werde ich wieder verkauft werden?«
»Nein.«
Sie sah ihn fragend an. Sollte sie ihm glauben oder nicht? Dann fragte sie leise: »Wirst du meinen Sohn ka u fen?«
»Wenn ich es könnte«, erwiderte Doro. »Doch wer weiß, wohin er gekommen ist – ein einzelner Junge! Wie alt war er?«
»Etwa fünf Jahre.«
Doro zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich ihn finden sollte.«
Besorgt hatte Anyanwu die Frau beobachtet. Nun, als Udenkwo in eine dumpfe Schwermut zu sinken schien, weil sie ihren Sohn für immer verloren hatte, fragte Anyanwu: »Udenkwo, wer ist dein Vater? Und wer ist der V a ter deines Vaters?«
Die Frau gab keine Antwort.
»Dein Vater?« wiederholte Anyanwu. »Sein Volk!«
Teilnahmslos nannte Udenkwo den Namen ihres Clans, dann fuhr sie fort, mehrere ihrer männlichen Vorfahren aufzuzählen. Anyanwu hörte aufmerksam zu. Plötzlich kamen ihr die Namen und deren Re i henfolge bekannt vor. Und dann fiel der Name ihres achten Sohnes – und der i h res dritten Mannes.
Mit einer Handbewegung stoppte sie die Aufzählung. »Ich habe einige deiner Leute gekannt«, sagte sie. »Du bist hier in Sicherheit. Du bist in guten Händen.« Sie entfernte sich von der Frau. »Ich we r de wiederkommen.« Sie zog Doro mit sich fort, und als sie außer Hörweite waren, fragte sie: »Kannst du dich nicht nach ihrem Sohn erkundigen?«
»Nein«, erwiderte Doro. »Ich habe ihr die Wahrheit g e sagt. Ich wüßte nicht, wo ich mit der Suche beginnen sollte. Vielleicht lebt
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