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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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Aber er kann nichts daran ä n dern. Wenn er e i nen neuen Körper braucht, nimmt er ihn sich – ob er es will oder nicht. Doch die meiste Zeit wec h selt er den Körper, weil er es will und nicht, weil er ihn braucht. Es gibt ein paar Menschen – vier oder fünf –, die ihn manchmal beeinflussen können, damit er das Töten unterläßt und verzichtet. Ich bin einer d a von. Du könntest auch einer von ihnen sein.«
    »Du meinst nicht ›unterlassen‹«, sagte Anyanwu mit müder Stimme. »Du meinst«, sie suchte nach dem treffe n den Wort, »du meinst ›aufschieben‹.«
    »Ich meine das, was ich gesagt habe. Es gibt Me n schen, auf die er hört. Menschen, die er schätzt, nicht nur als Zuchtobjekte oder Diener. Menschen, die ihm etwas geben können – etwas von einem Gefühl der Zusammengehöri g keit, das er braucht. Und das fi n det er nur bei den wenigen Menschen auf der Welt, die er lieben kann – oder die er wenigstens mag. Obwohl das bei ihm vielleicht nicht sehr viel ist – verglichen mit dem, was wir anderen fühlen bei dem, was wir Liebe, Haß oder Neid nennen. Viel wird er nicht empfinden. Ich glaube nicht, daß er es kann. Ich b e fürchte sogar, daß die Zeit kommt, da er übe r haupt nichts mehr empfindet. Wenn das so ist, wird das Ungemach, das er über die Menschen bringt, keine Grenzen mehr kennen. Ich wäre glücklich, wenn ich dann nicht mehr lebte, um es nicht mit a n sehen zu müssen. Du allerdings, du könntest noch leben, um es zu sehen – oder noch leben, um es zu verhindern. Du könntest bei ihm bleiben und dafür sorgen, daß er wenigstens so menschlich bleibt, wie er es jetzt noch ist. Ich werde alt werden. Ich werde sterben wie die and e ren. Bei dir wird es anders sein. Du bist ein Schatz für ihn. Ich glaube nicht, daß er das überhaupt schon erkannt hat.«
    »Er weiß es.«
    »Er weiß es, natürlich. Aber er … er fühlt es noch nicht. Es ist noch keine Wirklichkeit für ihn. Begreifst du denn nicht! Er lebt seit mehr als sieb e nunddreißighundert Jahren. Als Christus, der Sohn Gottes, den die meisten Weißen hier in der Kolonie verehren, geboren wurde, war Doro schon unfaßbar alt. Jeder andere war für ihn immer nur wie Rauch, der verweht: Frauen, Kinder, Freunde, ja sogar Stämme und Völker, Götter und Dämonen. Alles und jeder verging und starb – außer ihm. Und vielleicht auch außer dir, Sonnenfrau . Vielleicht auch außer dir. Laß ihn wissen, daß du nicht bist wie all die a n deren – laß es ihn spüren! Zeige es ihm – auch wenn du eine Zeitlang Dinge tun mußt, die du nicht tun willst. Reiche ihm die Hand, und halte ihn fest. Laß ihn wissen, er ist nicht länger mehr a l lein.«
    Es folgte eine lange Stille. Nur das Feuer im Kamin prasselte. Anyanwu barg das Gesicht in ihren Händen. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Ich wünschte, ich wü ß te, daß du ein Lügner bist«, flüsterte sie. »Ich bin voller Angst, voller Zorn und voller Ve r zweiflung. Und dennoch bürdest du mir eine schw e re Verantwortung auf.«
    Er schwieg.
    »Was ist hier verboten, Isaak? Was ist ein solches Ve r brechen, daß ein Mensch dafür mit Kerker und Tod rec h nen muß?«
    »Mord«, sagte Isaak. »Raub manchmal, einige andere Dinge. Und natürlich Widerstand und Ungehorsam gegen D o ro.«
    »Wenn jemand einen anderen umgebracht hat und Doro entscheidet, daß er nicht dafür bestraft wird, was geschieht dann?«
    Isaak legte die Stirn in Falten. »Wenn derjenige am L e ben bleiben muß – etwa aus Zuchtgründen –, wird Doro seinen Körper übernehmen. Oder wenn er noch sehr jung war, als er die Tat beging, wird Doro ihn aus unserer G e meinschaft verbannen. Er würde jedenfalls nie von uns ve r langen, di e sen Menschen weiter hier zu dulden.«
    »Wenn der Mörder also ein Mensch ist, der nicht mehr gebraucht wird, dann hat er sein Leben doch verwirkt, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Anyanwu atmete tief. »Vielleicht sind Anstand und gute Sitte doch noch nicht ganz gestorben unter euch. Vielleicht hat er euch doch noch nicht zu wi l den Tieren gemacht.«
    »Unterwirf dich ihm, Anyanwu. Und später kannst du ihn dann davon abhalten, daß er Tiere aus uns macht!«
    Unterwirf dich ihm! Diese Worte verursachten einen f a den Geschmack in ihrem Mund. Dennoch blickte sie in Isaaks blasses, verstörtes Gesicht. Und die Not, die Furcht um ihr Leben, die Anyanwu darin erkannte, wirkten i r gendwie beruhigend auf sie.
    »Wenn ich höre, wie du von ihm sprichst«, sagte sie le i se, »dann

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