Wilde Saat
einer seiner Töchter ging. Er hatte das Gefühl, daß i r gend etwas mit ihr nicht stimmte. Und wie gewöhnlich nahm er dieses Gefühl äußerst ernst.
Als er von der Landebrücke in die Stadt hineinritt, wu r de er Zeuge eines lauten, immer heftiger werdenden Stre i tes zwischen zwei Männern. Es ging um die Kuh des einen und um den Garten des anderen.
Langsam ritt Doro näher. Die beiden Streithähne sta n den vor Isaak, der auf einer Bank vor seinem Haus saß, das er und Anyanwu vor über fünfzig Jahren erbaut hatten. Isaak, schlank und jugendlich au s sehend trotz seines Alters und der dichten grauen Haare, besaß nicht die offizielle Bevol l mächtigung, einen Streit zu schlichten. Er war Farmer g e wesen und später Kaufmann – nie jedoch ein Mi t glied des Magistrats. Doch schon als er noch jünger war, k a men die Leute mit ihren Händeln und Streitigkeiten zu ihm. Er war einer von Doros Lieblingssöhnen, das gab ihm Ans e hen und Einfluß. Außerdem war er bekannt für seine E h renhaftigkeit und Fairneß. Die Menschen liebten ihn – mehr als Doro. Ihr Verhäl t nis zu Doro war anderer Natur. Ihn verehrten sie als ihren Gott. Sie schenkten ihm ihre Hochachtung und ihre Furcht. Aber gleichzeitig war er ihnen zu u n heimlich, als daß sie ihn hätten lieben können. Einer der Gründe, weshalb Doro seinen Sohn Isaak besuc h te, war die Tatsache, daß er in Isaak nicht nur den Sohn, sondern auch den Freund sah. Isaak war einer der wenigen Menschen, die Doros Gesel l schaft ohne Furcht und ohne Verstellung genießen konnten. Isaak war inzwischen ein alter Mann geworden, der dem Tod nicht mehr allzu fern war. Sie starben so schnell …
Doro erreichte das Haus. Er zügelte sein Pferd und saß einen Augenblick lang gebeugt im Sattel. Da Isaak ein au s gezeichnetes Geschick besaß, starrköpfige und unvernün f tige Leute zu besänftigen, hatten sich die beiden Streithä h ne inzwischen beruhigt. Ein anderer hätte die gleichen Worte sagen können, man hätte ihn ausgelacht oder niede r geschlagen wegen der Einmischung. Doch auf Isaak hörten die Leute.
»Pelham«, wandte sich Isaak an den älteren der beiden Männer, einen dürren, starkknochigen Farmer, der – wie Doro sich erinnerte – für Zuchtzwecke nur wenig geeignet gewesen war. »Pelham, wenn Sie bei der Instandsetzung des Zaunes Hilfe brauchen, we r de ich Ihnen einen meiner Söhne hinüberschicken.«
»Mein Junge macht das schon«, antwortete Pelham. »Mit Holzlatten kommt er schon zurecht.«
Pelhams Sohn, so erinnerte sich Doro, besaß gerade so viel Verstand, daß er sich die Hose allein auf- und zum a chen konnte. Er war ein hünenhafter, kraftstrotzender Mann mit dem Hirn eines Kindes – eines ängstlichen, gu t mütigen Kindes. Doro war froh zu hören, daß der Junge wenigstens zu kleinen Arbeiten zu gebrauchen war.
Isaak blickte auf und bemerkte zum erstenmal den kleinwüchsigen, scharfgesichtigen Fremden, der D o ro jetzt war. Und er tat, was er immer in einer so l chen Situation getan hatte. Obwohl er nicht über die hellseherischen F ä higkeiten seines Bruders Laie verfügte, erkannte er Doro sofort. »Nun«, sagte er, »es war auch langsam an der Zeit, daß du dich bei uns noch einmal sehen läßt!« Dann wandte er sich zum Haus um und rief: »Peter, komm heraus, schnell!«
Er stand auf, eilte auf Doro zu und ergriff die Zügel des Pferdes, die er seinem Sohn Peter übergab.
»Eines Tages werde ich dich dazu bringen, daß du mir ve r rätst, woran du mich immer wieder so rasch erkennst«, sa g te Doro. »Es kann nicht etwas sein, das du siehst.«
Isaak lachte. »Ich werde es dir sagen, sobald ich selbst weiß, was es ist. Du bist eben du für mich. Das ist alles.«
Nun, da Doro gesprochen hatte, erkannten ihn auch Pe l ham und der andere Mann. Sie begrüßten ihn mit einem aufg e regten, zusammenhanglosen Gestammel.
Doro hob Einhalt gebietend die Hand. »Ich bin hier, um meine Kinder zu besuchen.«
Die Worte der Begrüßung verstummten. Die beiden Mä n ner schüttelten Doro die Hand, wünschten ihm gleic h zeitig einen guten Abend und eilten davon, um die Kunde von se i ner Rückkehr in der Stadt zu verbreiten. Mit seiner knappen Bemerkung hatte Doro Isaak zu verstehen geg e ben, daß sein Besuch keinen offiziellen Charakter hatte. Er war nicht g e kommen, um sich einen neuen Körper zu h o len. Er würde also auch keinen Hof halten, um bestimmte Mißstände abz u stellen oder notwendige finanzielle oder sonstige Unterstü t
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