Wilde Saat
komme ich zu der Überzeugung, daß du ihn mehr liebst, als er dich liebt.«
»Was macht das schon aus?«
»Nichts. Du bist ein Mann, der sich auch um solche Dinge nicht zu kümmern braucht. Ich habe geglaubt, er könnte mir ein guter Ehemann sein. Auf dem Schiff machte ich mir Sorgen, ich könnte nicht die Frau für ihn sein, die er brauchte. Ich wollte ihm g e fallen. Jetzt gibt es nur noch einen Gedanken, der mich beschäftigt: daß er mich nie wieder fortlassen wird.«
»Nie wieder?« Isaak wiederholte ihre Worte mit leiser Ironie in der Stimme. »Das ist eine lange Zeit, besonders für dich und ihn.«
Sie wandte sich ab. Zu anderer Zeit hätte Isaaks gedu l diges Zureden ihr gutgetan. Denn eigentlich gehörte G e duld nicht zu seinen Vorzügen. Sie erkannte daran, wie groß seine Sorge, seine Verzweiflung war.
»Du möchtest deine Freiheit, Anyanwu«, fuhr Isaak fort. »Aber zuerst mußt du an ihn herankommen, sein Herz e r reichen. Er ist wie eine Schildkröte, eingeschlossen in se i nen Panzer, der Jahr für Jahr dicker und undurchdringlicher wird. Es wird eine lange Zeit dauern, bis du den Menschen erreicht hast, der in diesem Panzer lebt. Aber du hast diese Zeit, und es gibt diesen Menschen wirklich, den es zu e r reichen gilt. Überleg dir doch: Er wurde geboren wie ein j e der von uns. Aus der Bahn geworfen wurde er nur, weil er nicht sterben konnte. Aber dennoch ist er ein Mensch.« Isaak schwieg, um Atem zu holen. »Nimm dir die Zeit, Anyanwu, zerbrich den Panzer, öffne sein Herz. Vielleicht tritt er heraus aus seiner Ve r härtung und wird genauso, wie du ihn dir wünschst. Du bist die einzige, die es vermag. Denn du bist di e jenige, die er braucht.«
Anyanwu schüttelte den Kopf. Sie wußte jetzt, wie den Sklaven zumute war, wenn sie mit Ketten an Händen und Füßen im Sand lagen und das Brenneisen der Sklavenhän d ler zischend in ihr Fleisch drang. In ihrem Stolz hatte sie es nicht sehen wollen, daß auch sie nur eine Sklavin war. Aber nun konnte sie die Augen nicht länger verschließen. Sie trug Doros Brandzeichen von dem Tag an, da sie sich begegnet waren. Von ihm befreien könnte sie sich nur, wenn sie starb, wenn sie ihre Kinder opferte und wenn sie ihn seinem Schicksal überließ, damit er immer mehr zum Tier wurde. So vieles von dem, was Isaak gesagt hatte, schien richtig zu sein. Oder war es nur ihre Feigheit, ihre Furcht vor der tödlichen Bedr o hung durch Doro, die ihr Isaaks Worte so einsichtig erscheinen ließen? Wie konnte sie das wissen? Was immer sie auch tat, es würde falsch sein und Böses hervorbringen.
Isaak stand auf, trat zu ihr, ergriff ihre Hände und zog Anyanwu auf die Füße. »Ich weiß nicht, was für ein Eh e mann ich dir sein kann – einer Frau wie dir«, sagte er. »Aber wenn der Wunsch, dir zu gefallen, in deinen Augen irgend etwas bedeutet, dann …«
Müde und willenlos duldete sie, daß er sie an sich zog. Wäre sie eine normale Frau gewesen, er hätte sie an sich gepreßt, bis ihr die Luft ausgegangen wäre. Nach einer Weile sagte sie: »Wenn Doro mir bei unserer ersten B e gegnung gesagt hätte, daß er eine Frau für seinen Sohn wünschte und nicht für sich selbst, ich würde dich nicht durch meine Ablehnung beleidigt haben.«
»Ich bin nicht beleidigt«, flüsterte er. »Solange du nichts tust, was ihn dazu bringt, dich zu töten …«
»Wenn ich den Mut deiner Mutter besäße, ich würde mich selbst töten.«
Entsetzt blickte er sie an.
»Nein, nein. Ich denke nicht daran, mir das Leben zu nehmen«, beruhigte sie ihn. »Ich habe nicht den Mut, zu ste r ben. Ich habe nie zuvor geglaubt, ein Feigling zu sein, aber ich bin es. Leben ist für mich zu einer Gewohnheit geworden, auf die ich nicht mehr ve r zichten kann.«
»Du bist nicht feiger als jeder von uns«, sagte er.
»Ihr anderen tut wenigstens nichts, was in euren A u gen schlecht ist.«
»Anyanwu!«
»Nein!« Sie barg den Kopf an seiner Schulter. »Ich habe mich entschieden. Ich werde aufhören, mich zu belügen.« Sie blickte zu ihm auf, sah sein jungenha f tes Gesicht. »Wir werden heiraten, Isaak. Du bist ein guter Mensch. Ich bin nur die falsche Frau für dich, aber, vielleicht spielt das an diesem Ort und unter diesen Leuten keine Rolle.«
Er nahm sie auf seine starken Arme und trug sie zu dem großen, weichen Bett. Er zeugte mit ihr die Kinder, die ihre Sklaverei besiegeln würden.
Buch II
Lots Kinder
1741
VII
Doro war nach Wheatley zurückgekehrt, um zu sehen, wie es
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