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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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verlangst«, flüsterte sie.
    »Wer lügt denn jetzt?« sagte er. »Du weißt, daß deine Kinder nicht deine Stärke besitzen. Ich werde b e kommen, was ich von ihnen will. Und deine Kinder werden mir g e nauso gehören wie diese Menschen hier.«
    Sie schwieg. Er hatte recht. Sogar ihre eigene Stärke war nur eine Bravade: Tünche und Fassade, die ihre Angst ve r decken sollten. Es war lediglich ihr Zorn, der ihr den Mut gab, Doro die Stirn zu bieten. Und was bewirkten schon Zorn oder Trotz? Er würde sie töten. Und ein neues Leben gab es nicht für sie. D a nach würde er ihre Kinder verfolgen und mißbra u chen. Sie fühlte sich den Tränen nahe.
    »Dein Zorn wird verrauchen«, sagte er. »Das Leben wird schön und vielversprechend für dich werden in Wheatley. Du wirst überrascht sein, wie leicht du mit di e sen Leuten zurechtkommst.«
    »Ich werde deinen Sohn nicht heiraten, Doro! Gleic h gültig, welche Strafen du mir androhst! Gleichgültig, we l che Ve r sprechungen du mir machst. Ich werde deinen Sohn nicht heiraten!«
    Wieder seufzte er, während er das Tuch um seine Le n den schlang. Dann ging er zur Tür. »Bleibe hier!« befahl er. »Zieh dir etwas an und warte!«
    »Worauf?«
    »Auf Isaak.«
    Als sie zu ihm herumfuhr, den Mund zu einem Fluch geöffnet, sprang er mit einem pantherartigen Satz auf sie zu und schlug ihr die Faust mit aller Kraft mitten ins Gesicht.
    Trotz seiner Schnelligkeit wäre Zeit dafür gewesen, se i nen Arm zu umklammern, ihn zu zerbrechen wie einen dürren Ast, wäre Zeit gewesen, ihm die Kehle herauszure i ßen.
    Doch sie unterließ es. Sie nahm den Schlag hin, dessen Wucht sie rückwärts stieß. Kein Laut kam über ihre Li p pen. Es war lange her, daß sie so übermäc h tig den Wunsch verspürt hatte, einen Menschen zu töten.
    »Ich sehe, du hast begriffen, daß dir keine andere Wahl bleibt«, sagte Doro. »Ich sehe, das Sterben fällt dir doch nicht so leicht, wie du es glaubtest. Nun gut. Mein Sohn bat mich, mit dir sprechen zu dürfen, falls du mir den Geho r sam verweigern solltest. Wa r te hier!«
    »Was könnte er mir sagen, was du mir noch nicht gesagt hast?« fragte sie mit heiserer Stimme.
    Doro blieb in der Tür stehen und warf ihr über die Schulter einen verächtlichen Blick zu. Sein Schlag hatte sie weniger hart getroffen, als dieser Blick es tat.
    Als die Tür sich hinter ihm schloß, kehrte Anyanwu zum Bett zurück. Sie ließ sich auf der Bettkante nieder und starrte mit blicklosen Augen ins Feuer. So saß sie, bis Isaak an die Tür klopfte. Tränen rannen über ihre Wangen, aber sie wußte es nicht.
    Sie ließ ihn warten. Langsam stand sie auf, schlang das Tuch um ihren Körper und trocknete ihre Tr ä nen. Mit einer müden Handbewegung, die Trauer und Hoffnungslosigkeit verriet, öffnete sie die Tür und ließ den Jungen ins Zimmer. Er wirkte erschöpft. Das gelbe Haar hing ihm in unorden t lichen Strähnen in die Stirn. Die Augen waren gerötet, se i ne von der Sonne gebräunte Haut war fahl und grau. Er schien nicht nur müde zu sein, sondern krank.
    Wortlos starrte er sie an, und Anyanwu verspürte den Wunsch, auf ihn zuzugehen, wie sie es bei Okoye getan hatte, und ihn zu trösten. Statt dessen nahm sie in einem der Stühle Platz, damit er sich nicht neben sie setzen kon n te.
    Mitfühlend und voller Sorge schaute „er sie an, wä h rend er sich ihr gegenüber auf einem anderen Stuhl niederließ. »Hat er dir gedroht?« fragte er leise.
    »Natürlich. Es ist das einzige, was ihm einfällt.«
    »Und hat er dir ein gutes Leben versprochen, wenn du gehorchst?«
    »… ja.«
    »Er wird sein Wort halten, das weißt du. Unter allen Umständen.«
    »Ich habe gesehen, wie er sein Wort hält.«
    Ein langes, unbehagliches Schweigen folgte. Schließlich meinte Isaak mit leiser Stimme:
    »Zwinge ihn nicht zum Äußersten, Anyanwu! Wirf dein Leben nicht fort!«
    »Glaubst du, ich habe Lust zu sterben?« erwiderte sie. »Mein Leben ist gut gewesen – und sehr lang. Aber ich will nicht sein Hund sein. Soll er seine Greuel mit anderen anstellen!«
    »Mit deinen Kindern?«
    »Drohst du mir auch, Isaak?«
    »Nein!« rief er. »Das weißt du doch, Anyanwu.«
    Sie wandte das Gesicht ab. Wenn er doch gehen würde! Sie wollte ihm keine Dinge sagen, die ihn verletzten.
    Doch Isaak sprach weiter.
    »Als er mir sagte, daß ich dich heiraten würde, war ich überrascht und ein wenig voller Furcht. Du bist schon so oft verheiratet gewesen, und für mich wäre es das erste Mal.

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